oder
Von der Natur
(Nach der Übersetzung von Franz Susemihl)
SOKRATES: Eins, Zwei, Drei sind da, wo aber bleibt uns denn der Vierte, mein lieber Timaios, von denen, welche gestern bewirtet wurden, jetzt aber selber bewirten sollen?
TIMAIOS: Es hat ihn gewiß irgend eine Unpäßlichkeit befallen, lieber Sokrates, denn aus freien Stücken würde er wohl nicht aus dieser Gesellschaft wegbleiben.
SOKRATES: Demnach dürfte es denn deine Aufgabe und die der Übrigen hier sein, auch die Stelle des Abwesenden auszufüllen?
TIMAIOS: Gewiß, und wir werden es in Nichts daran fehlen lassen, so weit es in unseren Kräften steht. Denn nachdem wir gestern von dir mit Allem, was sich geziemt, gastfreundlich bewirtet worden sind, wäre es nicht recht, wenn wir Anderen dich nicht bereitwillig wiederbewirten wollten.
SOKRATES: Nun denn, erinnert ihr euch noch, wie viel und worüber ich euch zu sprechen aufgab?
TIMAIOS: Zum Teil erinnern wir uns dessen noch. Was uns aber entfallen ist, an das uns wieder zu erinnern bist du ja da. Oder lieber, wenn es dir nicht lästig ist, wiederhole es uns von Anfang an in der Kürze noch einmal, damit es sich besser in uns befestige.
SOKRATES: Das soll geschehen. Der Hauptinhalt meiner gestrigen Erörterungen über den Staat war ungefähr dieser, wie und aus was für Männern sich derselbe nach meiner Meinung am Besten gestalten würde.
TIMAIOS: Ja, und zwar ganz nach unser Aller Sinne stelltest du ihn dar.
SOKRATES: Schieden wir nun nicht zuerst in ihm den Beruf der Landbauer und alle andern Gewerbe von der Klasse derer, denen die Kriegführung für Alle obliegen sollte?
TIMAIOS: Ja.
SOKRATES: Und indem wir je nach seiner Naturbeschaffenheit einem Jeden nur die eine, ihm allein angemessene Beschäftigung und einem Jeden nach seiner Art sein Gewerbe zuerteilten, erklärten wir, daß diejenigen, welche für alle in den Krieg ziehen sollten, auch Nichts weiter als Wächter des Staates sein dürften, wenn etwa Einer von außen her oder auch Einer von den Einwohnenden käme, um ihm zu schaden, und zwar so, [18 St.] daß sie die von ihnen Beherrschten als ihre natürlichen Freunde milde richten, denen aber, welche ihnen in den Schlachten als Feinde begegneten, hart zusetzen sollten.
TIMAIOS: Allerdings.
SOKRATES: Denn die Seelen der Wächter müßten, so denke ich, sagten wir, eine gewisse zugleich willenskräftige, zugleich aber auch ganz vorzüglich zur richtigen Erkenntnis hinstrebende Natur besitzen, damit sie gegen jeden von beiden Teilen mild oder hart zu sein vermöchten.
TIMAIOS: Ja wohl.
SOKRATES: Und dann was ihre Erziehung anlangte, sagten wir da nicht, daß sie im Turnen und in der Tonkunst und in allen für sie erforderlichen Zweigen des Wissens gebildet werden müßten?
TIMAIOS: Freilich.
SOKRATES: Und wenn sie dann so gebildet wären, so etwa fuhren wir fort, sollten sie weder Gold noch Silber noch überhaupt irgend etwas Anderes jemals als ihr ausschließliches Eigentum ansehen dürfen, sondern als Beschützer von ihren Schützlingen für deren Bewachung einen Sold von der Größe empfangen, wie sie zu einem mäßigen Leben hinreicht, und sollten denselben dann gemeinsam mit einander verzehren und zusammenspeisend mit einander leben und ihr Streben durchaus allein auf die Tugend richten, von allen andern Geschäften aber befreit sein.
TIMAIOS: Auch das ward so festgesetzt.
SOKRATES: Und was dann ferner ihre Frauen anbetrifft, so gedachten wir doch auch dessen, daß man nur solche von ähnlicher Beschaffenheit ihnen zugesellen dürfe und daß man denselben in Bezug auf den Krieg so wie auf die übrige Lebensweise allen ganz die nämlichen Beschäftigungen zuerteilen müßte.
TIMAIOS: In dieser Weise ward auch dieses ausgemacht.
SOKRATES: Was stellten wir denn ferner hinsichtlich der Kinderzeugung fest? Doch das ist wohl schon wegen der Ungewöhnlichkeit dessen, was darüber angeordnet ward, leicht zu behalten, daß wir nämlich Alles, was Ehen und Kinder anlangt, Allen insgesamt gemeinschaftlich machten, indem wir Anstalten dafür treffen ließen, daß Keiner jemals seine Abkömmlinge vor denen der Andern heraus erkennen könnte, sondern Alle sie insgesamt als von gleicher Abkunft betrachten würden, nämlich als Schwestern und Brüder, so weit sie innerhalb des passenden Alters geboren wären, die aber ein Menschenalter vorher und noch weiter zurück Geborenen als Eltern und Großeltern, und die in absteigender Linie Geborenen als Kinder und Kindeskinder.
TIMAIOS: Ja, und es ist dies, wie du sagst, leicht zu behalten.
SOKRATES: Damit sie nun aber gleich mit so vortrefflicher Naturanlage als möglich geboren würden, erinnern wir uns nicht, daß wir festsetzten, es müßten die Vorsteher und Vorsteherinnen des Staates für die Schließung der Ehen vermittelst gewisser Lose die Einrichtung treffen, daß die Guten und die Schlechten gesondert von einander beide mit Weibern von gleicher Beschaffenheit zusammenkämen und daß so deswegen keine Feindschaft unter ihnen entstände, indem sie vielmehr den Zufall als die Ursache der jedesmaligen Verbindung ansähen?
TIMAIOS: Wir erinnern uns dessen.
[19 St.] SOKRATES: Und doch wohl auch dessen, daß wir feststellten, daß die Kinder der Guten aufgezogen, die der Schlechten aber heimlich unter die übrigen Angehörigen des Staates verteilt werden müßten, und wie die Staatsvorsteher dann die Heranwachsenden zu beobachten und die Würdigen von ihnen wieder in ihren Geburtsstand zurückzuversetzen, die Unwürdigen innerhalb dieses letzteren selbst aber in den Platz dieser Wiederhinaufgerückten einzustellen hätten?
TIMAIOS: Freilich.
SOKRATES: Nun hätten wir denn wohl Alles eben so, wie gestern bereits wieder durchgegangen, so weit dies für eine Wiederholung in den Hauptzügen erforderlich, oder vermissen wir, mein lieber Timaios, noch irgend Etwas von dem Gesagten, was wir etwa übergangen hätten?
TIMAIOS: Nein, sondern gerade dies war der Inhalt desselben.
SOKRATES: Hört nun ferner, wie es mir in bezug auf diesen Staat, wie wir ihn entwickelt haben, geht. Ich habe nämlich ungefähr dieselbe Empfindung dabei, wie wenn Einer schöne Tiere sieht, sei es gemalte, sei es auch wirklich lebende, die sich aber in Ruhe verhalten, und ihn dann das Verlangen ankommt, sie auch in Bewegung zu erblicken und Etwas von den Eigenschaften, welche belebten Körpern zukommen, im Kampfe erproben zu sehen. Eben so also geht es mir mit dem von uns entwickelten Staate. Denn gerne möchte ich Jemanden darstellen hören, wie er diejenigen Kämpfe, welche einem Staate zukommen, gegen andere Staaten bestehen würde, indem er auf eine würdige Weise zum Kriege geschritten wäre und nunmehr während desselben das der in ihm herrschenden Erziehung und Bildung Entsprechende sowohl in der Ausführung durch Taten, als in der Verhandlung in Worten dem jedesmaligen anderen Staate gegenüber leisten würde. Hierin nun, mein Kritias und Hermokrates, bin ich mir selber bewußt, daß ich niemals im Stande sein werde, den Staat und die Männer gebührend zu verherrlichen. Und was mich betrifft, so ist das kein Wunder, aber ich habe dieselbe Meinung auch von den vormaligen, so wie von den jetzt lebenden Dichtern gewonnen, nicht als ob ich damit das Geschlecht der Dichter herabsetzen wollte, vielmehr ist es Jedem klar, daß Alles, was zu der Klasse der nachahmenden Künstler gehört, dasjenige am Leichtesten und Besten nachahmen wird, worin ein Jeder auferzogen ward, und daß es dagegen für einen jeden schwer ist, dasjenige, was außerhalb seines Bildungskreises liegt, in den Taten, noch schwerer aber in den Worten gut nachzuahmen. Das Geschlecht der Sophisten aber wiederum halte ich zwar für sehr erfahren in Reden und vielen anderen schönen Dingen, fürchte aber, weil es in den Staaten umherzieht und nirgends eigene Wohnsitze hat, daß es unfähig sei, das Richtige zu treffen, wenn es sich darum handelt, wie viel und welcherlei wissenschaftliche und zugleich staatskluge Männer in Kampf und Schlachten, so wie in der jedesmaligen Unterhandlung, in Tat und Wort zur Ausführung bringen dürften. So bleiben denn nur noch die Leute eures Schlages übrig welche Beides zugleich, [20 St.] und zwar durch Anlage und durch Bildung, sind. Denn Timaios hier ist aus dem italischen Lokris gebürtig, welches sich der vortrefflichsten Verfassung erfreut, steht keinem von seinen Landsleuten an Vermögen und Herkunft nach, und hat dabei einerseits die höchsten Ämter und Ehrenstellen im Staate bekleidet, andererseits in Allem, was nur wissenschaftliches Streben heißt, nach meinem Dafürhalten das Höchste erreicht. Von dem Kritias aber wissen wir Athener es ja alle, daß ihn Nichts von den Dingen, um welche es hier sich handelt, fremd ist, und eben so darf man es von der Naturanlage wie der Bildung des Hermokrates glauben, daß sie ihnen allen gewachsen sei, da dies von so vielen Seiten bezeugt wird. Dies erwog ich auch schon gestern, und als ihr mich daher batet, das Wesen des Staates zu erörtern, so ging ich gerne darauf ein, weil ich wußte, daß Niemand geschickter als ihr, wenn ihr wolltet, dazu sein würde, die Fortsetzung hiezu zu liefern, denn darzustellen, wie der Staat zu einem seiner würdigen Kriege schreiten und sodann in Allem auf die ihm zukommende Weise handeln würde, dürftet ihr allein von Allen, die jetzt leben, geeignet sein. Nachdem ich mich daher dessen entledigt, was ihr mir aufgetragen, trug ich euch denn hinwiederum das eben Erwähnte auf. Ihr nun setztet nach gemeinschaftlicher Beratung auf heute meine Gegenbewirtung durch Reden fest, und da bin ich denn nun, gerüstet und ganz gewärtig sie zu empfangen.
HERMOKRATES: Und wir unsererseits, lieber Sokrates, wie es schon unser Timaios hier sagte, werden es gewiß an gutem Willen nicht fehlen lassen, auch haben wir so wenig einen Vorwand, uns dem zu entziehen, daß wir schon gestern, gleich als wir von hier in das Gastzimmer beim Kritias, wo wir wohnen, eingetreten waren, und noch vorher auf dem Wege dahin, eben den betreffenden Gegenstand mit einander betrachtet haben. Da trug uns denn nun unser Wirt eine Geschichte aus alter Leberlieferung vor, und dieselbe, lieber Kritias, könntest du nun auch dem Sokrates mitteilen, auf daß auch er mit uns prüfe, ob sie zur Erfüllung des uns Aufgetragenen etwas Geeignetes enthält oder nicht.
KRITIAS: Das mag geschehen, wenn es auch den Timaios, als unsern dritten Gesprächsgenossen, also gut dünkt.
TIMAIOS: Ich bin damit einverstanden.
KRITIAS: So höre denn, Sokrates, eine gar seltsame, aber durchaus wahre Geschichte, wie sie einst Solon, der Weiseste unter den Sieben, erzählt hat. Er war nämlich, wie bekannt, ein Verwandter und vertrauter Freund meines Urgroßvaters Dropides, wie er auch selber wiederholt in seinen Gedichten sagt. Meinem Großvater Kritias aber erzählte er bei irgend einer Gelegenheit, wie es dieser als Greis wiederum mir mitteilte, daß es viele vor Alters von unserem Staat vollbrachte bewunderungswürdige Taten gäbe, welche durch die Länge der Zeit und den Untergang der Menschen in Vergessenheit geraten wären, [21 St.] von allen aber sei eine die größte, deren Andenken mir jetzt zu erneuern geziemt, um sowohl dir meinen Dank abzutragen, als auch zugleich die Göttin an ihrem gegenwärtigen Feste auf eine echte und gebührende Weise wie durch einen Lobgesang zu verherrlichen.
SOKRATES: Wohl gesprochen. Aber was für eine Tat ist denn das, die Kritias, obgleich sie der Überlieferung unbekannt ist, dir dennoch als eine in Wahrheit vor Alters von dieser Stadt vollbrachte nach dem Berichte des Solon mitteilte?
KRITIAS: So will ich denn diese alte Geschichte erzählen, die ich von einem nicht mehr jungen Manne vernommen. Es war nämlich damals Kritias, wie er sagte, schon beinahe neunzig Jahre, ich aber so ungefähr zehn alt. Nun war gerade der Knabentag der Apaturien, und was sonst jedesmal an diesem Feste gebräuchlich ist, geschah auch diesmal mit den Kindern: Preise setzten uns nämlich die Väter für den besten Vortrag von Gedichten aus. So wurden denn viele Gedichte von vielen anderen Dichtern hergesagt, namentlich aber trugen viele von uns Kindern manche von denen des Solon vor, weil diese zu jener Zeit noch etwas Neues waren. Da äußerte nun einer von den Genossen unserer Phratrie, sei es, daß dies damals wirklich seine Ansicht war, sei es, um dem Kritias etwas Angenehmes zu sagen, es scheine ihm Solon sowohl in allen anderen Stücken der Weiseste als auch in bezug auf die Dichtkunst unter allen Dichtern der edelste zu sein.
Der Greis nun, denn ich erinnere mich dessen noch sehr wohl, ward sehr erfreut und erwiderte lächelnd: wenigstens, Amynandros, wenn er die Dichtkunst nicht bloß als Nebensache betrieben, sondern, wie Andere seinen ganzen Fleiß auf dieselbe verwandt und die Erzählung, welche er aus Ägypten mit hierher brachte, vollendet und nicht wegen der Unruhen und durch alle anderen Schäden, welche er hier bei seiner Rückkehr vorfand, sich gezwungen gesehen hätte sie liegen zu lassen, dann wäre, wenigstens nach meinem Dafürhalten, weder Homer noch Hesiod noch irgend ein anderer Dichter je berühmter geworden als er.
Aber was für eine Geschichte war denn dies, fragte jener.
Nun, von der größten und mit vollem Rechte ruhmwürdigsten Tat von allen, welche diese Stadt vollbracht, von welcher aber wegen der Länge der Zeit und des Unterganges derer, die sie vollbracht haben, die Überlieferung sich nicht bis auf uns erhalten hat.
So erzähle mir denn vom Anfange an, versetzte der Andere, was und wie und von wem Solon hierüber Beglaubigtes gehört und es darnach berichtet hat.
Es gibt in Ägypten, versetzte Kritias, in dem Delta, um dessen Spitze herum der Nilstrom sich spaltet, einen Gau, welcher der saitische heißt, und die größte Stadt dieses Gau's ist Sais, von wo ja auch der König Amasis gebürtig war. Die Einwohner nun halten für die Gründerin ihrer Stadt eine Gottheit, deren Name auf ägyptisch Neith, auf griechisch aber, wie sie angeben, Athene ist, sie behaupten daher große Freunde der Athener und gewissermaßen mit ihnen stammverwandt zu sein. Als daher Solon dorthin kam, so wurde er, wie er erzählte, von ihnen mit Ehren überhäuft, [22 St.] und da er Erkundigungen über die Vorzeit bei denjenigen Priestern einzog, welche hierin vorzugsweise erfahren waren, so war er nahe daran zu finden, daß weder er selbst noch irgend ein anderer Grieche, fast möchte man sagen, auch nur irgend Etwas von diesen Dingen wisse. Und einst habe er, um sie zu einer Mitteilung über die Urzeit zu veranlassen, begonnen, ihnen die ältesten Geschichten Griechenlands zu erzählen, ihnen vom Phoroneus, welcher für den ersten gilt, und von der Niobe, und wie nach der Flut Deukalion und Pyrra übrig blieben, zu berichten und das Geschlechtsregister ihrer Abkömmlinge aufzuzählen und habe versucht, mit Anführung der Jahre, welche auf jedes Einzelne kamen, wovon er sprach, die Zeiten zu bestimmen. Da aber habe einer der Priester, ein sehr bejahrter Mann, ausgerufen: O Solon, Solon, ihr Hellenen bleibt doch immer Kinder, und einen alten Hellenen gibt es nicht!
Als nun Solon dies vernommen, habe er gefragt: Wie so? Wie meinst du das?
Ihr seid alle jung an Geiste, erwiderte der Priester, denn ihr tragt in ihm keine Anschauung, welche aus alter Überlieferung stammt, und keine mit der Zeit ergraute Kunde. Der Grund hievon aber ist folgender. Es haben schon viele und vielerlei Vertilgungen der Menschen Statt gefunden und werden auch fernerhin noch Statt finden, die umfänglichsten durch Feuer und Wasser, andere, geringere aber durch unzählige andere Ursachen. Denn was auch bei euch erzählt wird, daß einst Phaethon, der Sohn des Helios, den Wagen seines Vaters bestieg und, weil er es nicht verstand auf dem Wege seines Vaters zu fahren, Alles auf der Erde verbrannte und selber vom Blitze erschlagen ward, das klingt zwar wie eine Fabel, doch ist das Wahre daran die veränderte Bewegung der die Erde umkreisenden Himmelskörper und die Vernichtung von Allem, was auf der Erde befindlich ist, durch vieles Feuer, welche nach dem Verlauf großer Zeiträume eintritt. Von derselben werden dann die, welche auf Gebirgen und in hochgelegenen und wasserlosen Gegenden wohnen, stärker betroffen als die Anwohner der Flüsse und des Meeres, und so rettet auch uns der Nil, wie aus allen anderen Nöten, so auch alsdann, indem er uns auch aus dieser befreit. Wenn aber wiederum die Götter die Erde, um sie zu reinigen, mit Wasser überschwemmen, dann bleiben die, so auf den Bergen wohnen, Rinder- und Schafhirten, erhalten, die aber, welche bei euch in den Städten leben, werden von den Flüssen ins Meer geschwemmt, dagegen in unserem Lande strömt weder dann noch sonst das Wasser vom Himmel herab auf die Fluren, sondern es ist so eingerichtet, daß alles von unten her über sie aufsteigt. Daher und aus diesen Gründen bleibt Alles bei uns erhalten und gilt deshalb für das älteste. In Wahrheit jedoch gibt es in allen Gegenden, wo nicht übermäßige Kälte oder Hitze es wehrt, stets ein bald mehr, [23 St.] bald minder zahlreiches Menschengeschlecht. Nur aber liegt bei uns Alles, was bei euch oder in der Heimat oder in anderen Gegenden vorgeht, von denen wir durch Hörensagen wissen, so fern es irgendwie etwas Treffliches oder Großes ist oder irgend eine andere Bedeutsamkeit hat, insgesamt von Alters her in den Tempeln aufgezeichnet und bleibt also erhalten. Ihr dagegen und die übrigen Staaten seid hinsichtlich der Schrift und alles Anderen, was zum staatlichen Leben gehört, immer eben erst eingerichtet, wenn schon wiederum nach dem Ablauf der gewöhnlichen Frist wie eine Krankheit die Regenflut des Himmels über euch hereinbricht und nur die der Schrift Unkundigen und Ungebildeten bei euch übrig läßt, so daß ihr immer von Neuem gleichsam wieder jung werdet und der Vorgänge bei uns und bei euch unkundig bleibt, so viel ihrer in alten Zeiten sich ereigneten. Wenigstens eure jetzigen Geschlechtsverzeichnisse, wie du sie durchgingst, unterscheiden sich nur wenig von Kindermärchen. Denn erstens erinnert ihr euch nur Einer Überschwemmung der Erde, während doch so viele schon vorhergegangen sind, sodann aber wißt ihr nicht, daß das trefflichste und edelste Geschlecht unter den Menschen in eurem Lande gelebt hat, von denen du und alle Bürger eures jetzigen Staates herstammt, indem einst ein geringer Stamm von ihnen übrig blieb, sondern alles dies blieb euch verborgen, weil die Übriggebliebenen viele Geschlechter hindurch ohne die Sprache der Schrift ihr ganzes Leben hinbrachten. Denn es war einst, mein Solon, vor der größten Zerstörung durch Wasser der Staat, welcher jetzt der athenische heißt, der beste im Kriege und mit der in allen Stücken ausgezeichnetsten Verfassung ausgerüstet, wie denn die herrlichsten Taten und öffentlichen Einrichtungen von allen unter der Sonne, deren Ruf wir vernommen haben, ihm zugeschrieben werden.
Als nun Solon dies hörte, da habe er, wie er erzählte, sein Erstaunen bezeugt und angelegentlichst die Priester gebeten, ihm die ganze Geschichte der alten Bürger seines Staates in genauer Reihenfolge wiederzugeben.
Der Priester aber habe erwidert: Ich will dir Nichts vorenthalten, mein Solon, sondern dir Alles mitteilen, sowohl dir als eurem Staate, vor Allem aber der Göttin zu Liebe, welche euren so wie unseren Staat gleichmäßig zum Eigentume erhielt und beide erzog und bildete, und zwar den euren tausend Jahre früher aus dem Samen, den sie dazu von der Erdgöttin Ge und dem Hephästos empfangen hatte, und später eben so den unsrigen. Die Zahl der Jahre aber, seitdem die Einrichtung des letzteren besteht, ist in unseren heiligen Büchern auf achttausend angegeben. Von euren Mitbürgern, die vor neuntausend Jahren entstanden, will ich dir also jetzt im Kurzen berichten, welches ihre Staatsverfassung und welches die herrlichste Tat war, die sie vollbrachten, [24 St.] das Genauere über dies Alles aber wollen wir ein ander Mal mit Muße nach der Reihe durchgehen, indem wir die Bücher selber zur Hand nehmen. Von ihrer Verfassung nun mache dir eine Vorstellung nach der hiesigen. Denn du wirst viele Proben von dem, was damals bei euch galt, in dem, was bei uns noch jetzt gilt, wiederfinden, zuerst eine Kaste der Priester, welche von allen andern gesondert ist, sodann die der Gewerbetreibenden, von denen wieder jede Klasse für sich arbeitet, und nicht mit den anderen zusammen, samt den Hirten, Jägern und Ackerleuten, endlich wirst du auch wohl bemerkt haben, daß die Kriegerkaste hier zu Lande von allen Anderen gesondert und daß ihr nichts Anderes, außer der Sorge für das Kriegswesen, vom Gesetze auferlegt ist. Ihre Bewaffnung ferner besteht aus Spieß und Schild, mit denen wir zuerst unter den Völkern Asiens uns ausrüsteten, indem die Göttin es uns, ebenso wie in euren Gegenden euch zuerst, gelehrt hatte. Was sodann die Geistesbildung anlagt, so siehst du doch wohl, eine wie große Sorge das Gesetz bei uns gleich in seinen Grundlagen auf sie verwandt hat, indem es aus allen auf die Naturordnung bezüglichen Wissenschaften bis zu der Wahrsagekunst und der Heilkunst zur Sicherung der Gesundheit hin, welche alle göttlicher Natur sind, dasjenige, was zum Gebrauche der Menschen sich eignet, heraussuchte und sich dergestalt alle diese Wissenschaften und alle andern, welche mit ihnen zusammenhängen, aneignete. Nach dieser ganzen Anordnung und Einrichtung gründete nun die Göttin zuerst euren Staat, indem sie den Ort eurer Geburt mit Rücksicht darauf erwählte, daß die dort herrschende glückliche Mischung der Jahreszeiten am Besten dazu geeignet sei, verständige Männer zu erzeugen. Weil also die Göttin zugleich den Krieg und die Weisheit liebt, so wählte sie den Ort aus, welcher am Meisten sich dazu eignete, Männer, wie sie ihr am Ähnlichsten sind, hervorzubringen, und gab diesem zuerst seine Bewohner. So wohntet ihr denn also dort im Besitze einer solchen Verfassung und noch viel anderer trefflicher Einrichtungen und übertraft alle anderen Menschen in jeglicher Tugend und Tüchtigkeit, wie es auch von Sprößlingen und Zöglingen der Götter nicht anders zu erwarten stand. Viele andere große Taten eures Staates nun lesen wir in unseren Schriften mit Bewunderung, von allen jedoch ragt eine durch ihre Größe und Kühnheit hervor. Unsere Bücher erzählen nämlich, eine wie gewaltige Kriegsmacht einst euer Staat gebrochen hat, als sie übermütig gegen ganz Europa und Asien zugleich vom atlantischen Meere heranzog. Damals nämlich war das Meer dort fahrbar, denn vor der Mündung, welche ihr in eurer Sprache die Säulen des Herakles heißt, hatte es eine Insel, welche größer war als Asien und Libyen zusammen, und von ihr konnte man damals nach den übrigen Inseln hinübersetzen und [25 St.] von den Inseln auf das ganze gegenüberliegende Festland, welches jenes recht eigentlich so zu nennende Meer umschließt. Denn alles Das, was sich innerhalb der eben genannten Mündung befindet, erscheint wie eine Bucht mit einem engen Eingange, jenes Meer aber kann in Wahrheit also und das es umgebende Land mit vollem Fug und Recht Festland heißen. Auf dieser Insel Atlantis nun bestand eine große und bewundernswürdige Königsherrschaft, welche nicht bloß die ganze Insel, sondern auch viele andere Inseln und Teile des Festlands unter ihrer Gewalt hatte. Außerdem beherrschte sie noch von den hier innerhalb liegenden Ländern Libyen bis nach Ägypten und Europa bis nach Tyrrenien hin. Indem sich nun diese ganze Macht zu einer Heeresmasse vereinigte, unternahm sie es, unser und euer Land und überhaupt das ganze innerhalb der Mündung liegende Gebiet mit Einem Zuge zu unterjochen. Da wurde nun, mein Solon, die Macht eures Staates in ihrer Trefflichkeit und Stärke vor allen Menschen offenbar. Denn vor allen Andern an Mut und Kriegskünsten hervorragend, führte derselbe zuerst die Hellenen, dann aber ward er durch den Abfall der Anderen gezwungen, sich auf sich allein zu verlassen, und als er so in die äußerste Gefahr gekommen, da überwand er die Andringenden und stellte Siegeszeichen auf und verhinderte so die Unterjochung der noch nicht Unterjochten und gab den Andern von uns, die wir innerhalb der herakleischen Grenzen wohnen, mit edlem Sinne die Freiheit zurück. Späterhin aber entstanden gewaltige Erdbeben und Überschwemmungen, und da versank während eines schlimmen Tages und einer schlimmen Nacht das ganze streitbare Geschlecht bei euch scharenweise unter die Erde, und ebenso verschwand die Insel Atlantis, indem sie im Meere unterging. Deshalb ist auch die dortige See jetzt unfahrbar und undurchforschbar, weil der sehr hoch aufgehäufte Schlamm im Wege ist, welchen die Insel durch ihr Untersinken hervorbrachte.
Da hast du nun, lieber Sokrates, was mir vom alten Kritias auf Solons Bericht hin erzählt wurde, so im Kurzen vernommen. Und so fiel mir denn auch, als du gestern über den Staat und seine Bürger, wie du sie schildertest, sprachst, eben Das, was ich jetzt mitgeteilt habe, dabei ein, und mit Erstaunen bemerkte ich, wie wunderbar du durch ein Spiel des Zufalls so überaus nahe in den meisten Stücken mit dem zusammentrafst, was Solon erzählt hatte. Doch wollte ich es nicht sogleich sagen, [26 St.] denn nach so langer Zeit hatte ich es nicht mehr gehörig im Gedächtnisse, und ich merkte daher, daß es nötig wäre, bei mir selber zuvor gehörig Alles wieder zu überdenken und dann erst darüber zu sprechen. Darum war ich auch so rasch mit den Aufgaben, welche du gestern stelltest, einverstanden, indem ich glauben durfte, ich werde um das, was in allen solchen Fällen die meisten Schwierigkeiten macht, nämlich einen den Erwartungen entsprechenden Stoff zu Grunde zu legen, eben nicht in Verlegenheit sein. Deshalb nun rief ich es mir denn auch ins Gedächtnis zurück, indem ich es gestern gleich, wie auch Hermokrates schon bemerkt hat, als ich von hier fortging, unseren beiden Gästen mitteilte, und eben so sann ich, nachdem ich sie verlassen hatte, während der Nacht darüber nach und habe mir dadurch so ziemlich Alles wieder zur vollen Erinnerung gebracht. Und in der Tat, es ist wahr, was das Sprichwort sagt: was man als Knabe lernt, das merkt sich wunderbar. Ich meinerseits wenigstens weiß es nicht, ob ich, was ich gestern hörte, mir so Alles im Gedächtnis wieder vergegenwärtigen könnte, von dem eben Erzählten aber, was ich vor so langer Zeit gehört habe, sollte es gar sehr mich Wunder nehmen, wenn mir irgend Etwas davon entschwunden wäre. Ich hatte aber auch schon damals, als ich es hörte, nach Kinderart viele Freude daran, weshalb ich denn den Alten, der auch stets bereit war mir Rede zu stehen, wiederholt immer von Neuem darnach fragte, so daß es wie mit unauslöschlichen Zügen sich mir eingebrannt hat. Daher teilte ich denn auch den Gastfreunden gleich heute morgen früh eben dies mit, damit es auch ihnen gleich mir nicht an Stoffe zu Reden gebräche. Jetzt also, um auf das zurückzukommen, weswegen dies Alles bemerkt worden ist, bin ich bereit, lieber Sokrates, nicht bloß im Ganzen und Großen, sondern auch in den einzelnen Zügen Alles, wie ich es gehört habe, vorzutragen, und die Bürger und den Staat, welche du gestern uns gleichsam nur wie in einer Dichtung geschildert hast, werde ich jetzt in die Wirklichkeit, und zwar hierher nach Athen versetzen, indem ich annehme, daß jener Staat der unsrige gewesen ist, und werde behaupten, daß die Bürger, wie du sie dir dachtest, jene unsere leibhaftigen Voreltern gewesen sind, von welchen der Priester sprach. Sie werden ganz dazu stimmen, und wir werden durchaus das Richtige treffen, wenn wir sagen, daß sie die seien, welche in der damaligen Zeit lebten. werden uns jedoch in die Aufgabe, welche du uns gestellt hast, teilen und so alle dieselbe nach Vermögen gebührend zu lösen versuchen, und es ist eben deshalb zuzusehen, lieber Sokrates, ob dieser Stoff nach unserem Sinne ist, oder ob wir noch erst einen anderen an seiner Stelle zu suchen haben.
SOKRATES: Und welchen anderen, mein Kritias, sollten wir wohl lieber an seiner Stelle nehmen, welcher zu dem gegenwärtigen Opferfest der Göttin wegen der nahen Beziehung zu ihr so gut paßte? Und dazu ist auch wohl noch das an ihm ein großer Vorzug, daß er kein bloß erdichtetes Märchen, sondern eine wahre Geschichte enthält. Denn wie und woher sollten wir denn andere Stoffe nehmen, wenn wir diesen verschmähen wollten? Wir würden vergebens suchen, vielmehr, und ich wünsche euch guten Erfolg dazu, müßt ihr jetzt reden, ich aber zum Entgelt dafür, daß ich gestern gesprochen habe, [27 St.] nunmehr in Ruhe zuhören.
KRITIAS: So betrachte denn, lieber Sokrates, wie wir die Anordnung der Gastgeschenke für dich getroffen haben. Wir haben nämlich beschlossen, daß Timaios, weil er sich unter uns am meisten auf die Sternkunde versteht, und es sich am meisten zur Aufgabe gemacht hat, über die Natur des Alls zur Erkenntnis zu gelangen, zuerst reden solle, und zwar so, daß er mit der Entstehung der Welt beginnt und mit der Erzeugung der Menschen aufhört, ich aber nach ihm, nachdem ich von ihm die Menschen als entstandene, gemäß seiner Darstellung, von dir aber einen Teil derselben als ganz vorzüglich gebildet in Empfang genommen und diese Letzteren nach der Erzählung und dem Gesetze des Solon gleichsam vor unseren Richterstuhl geführt habe, dieselben, indem ich davon ausgehe, daß dies die damaligen Athener sind, welche die Überlieferung der heiligen Bücher aus ihrer Verborgenheit an's Licht gezogen hat, zu Bürgern unseres Staates machen und das Weitere über sie sodann als über Bürger und Athener vortragen solle.
SOKRATES: Recht vollständig und glänzend scheint ja meine Gegenbewirtung durch eure Reden ausfallen zu sollen. Deine Aufgabe, wie ich denke, Timaios, wäre es denn also hiernach, jetzt zunächst zu sprechen, nachdem du zuvor, wie der Brauch es fordert, die Götter angerufen hast.
TIMAIOS: Gewiß, lieber Sokrates, tun doch das wohl alle, die auch nur ein wenig Überlegung besitzen, rufen doch sie Alle wohl beim Beginne eines jeden Unternehmens, mag es nun geringfügig oder bedeutend sein, stets einen Gott an. Und wir, die wir gar über das All zu sprechen im Begriffe sind, nämlich in wie fern es entstanden ist oder aber unentstanden von Ewigkeit war, müßten ja ganz und gar den Verstand verloren haben, wenn wir nicht die Götter und Göttinnen anrufen und von ihnen erflehen wollten das Ganze vor Allem nach ihrem Sinne, sodann aber auch in Übereinstimmung mit uns selber darzulegen. Und so mögen denn die Götter eben hierum angerufen sein, an uns selbst aber haben wir den Anruf und die Anfrage zu stellen, auf welche Weise ihr eurerseits am leichtesten ein Verständnis der Sache gewinnen, ich für mein Teil aber den vorliegenden Gegenstand am deutlichsten so, wie ich über ihn denke, zum Ausdrucke bringen möge.
Man muß nun nach meiner Meinung zuerst Folgendes unterscheiden und feststellen: Wie haben wir uns das immer Seiende, welches kein Werden zuläßt, und wie das immer Werdende zu denken, [28 St.] welches niemals zum Sein gelangt? Nun, das eine als dem Denken vermöge des vernünftigen Bewußtseins erfaßbar, eben weil als ein Solches, welches immer dasselbe bleibt, das Andere dagegen als der Vorstellung vermöge der bewußtlosen Sinneswahrnehmung zugänglich, eben weil als ein Solches, welches dem Entstehen und Vergehen ausgesetzt und nie wahrhaft seiend ist. Alles Werdende muß ferner durch irgend eine Ursache werden, denn es ist unmöglich, daß Etwas ohne irgend eine Ursache entstehe. So weit nun der Urheber dabei auf Dasjenige hinblickt, welches immer dasselbe bleibt, und sich einer Wesenheit aus diesem Gebiete als seines Urbildes bedient, um darnach die Gestalt eines Dinges und den Inbegriff seiner Kräfte hervorzubringen, wird es notwendigerweise sodann in allen Stücken vortrefflich geraten, soweit er aber auf das Gewordene hinblickt und sich eines Urbildes bedient, welches selber dem Entstandenen angehört, in so weit nicht vortrefflich. Von dem ganzen Weltgebäude nun oder Weltall, oder, wenn ihm irgend ein anderer Name am meisten genehm ist, so sei ihm dieser von uns beigelegt, ist eben hiernach zunächst zu untersuchen, was überhaupt bei jedem Gegenstand der Untersuchung als Ausgangspunkt zu Grunde gelegt werden muß, ob es immer war und nicht erst, in das Werden eintretend, einen Anfang genommen hat, oder ob es entstanden und von einem Anfange ausgegangen ist. Es ist entstanden, denn es ist sichtbar und fühlbar und hat einen Körper; alles so Beschaffene aber ist sinnlich wahrnehmbar, und das sinnlich Wahrnehmbare, welches der Vorstellung mit Hilfe der Sinne zugänglich ist, erschien uns als das Werdende und Entstandene. Das Werdende, sagten wir dann ferner, müsse notwendig durch irgend eine Ursache werden. Den Schöpfer und Vater dieses Alles nun ist es schwierig zu finden, und wenn man ihn gefunden hat, unmöglich, sich für Alle verständlich über ihn auszusprechen, doch muß man in Betreff seiner wiederum dies untersuchen, nach welchem von beiderlei Urbildern er als Baumeister die Welt gebildet hat, [29 St.] ob nach Demjenigen, welches stets dasselbe und unverändert bleibt, oder aber nach dem Entstandenen.
Wenn nun aber doch diese Welt schön und vortrefflich und der Meister gut und vollkommen ist, so ist es offenbar, daß er nach dem Ewigen schaute, wenn dagegen der Fall eintritt, welchen auch nicht einmal auszusprechen erlaubt ist, dann nach dem Entstandenen. Eben hiernach ist es nun schon Jedermann klar, daß er nach dem Ewigen blickte, denn die Welt ist das Schönste von allem Entstandenen und der Meister ist der beste und vollkommenste von allen Urhebern. So ist denn jene als eine solche ins Leben gerufen worden, die nach dem Urbilde dessen entstanden, was der Vernunft und Erkenntnis erfaßbar ist und beständig dasselbe bleibt.
Schreiten wir nun auf diesen Grundlagen zur Betrachtung dieser unserer Welt, so ist sie eben hiernach ganz notwendigerweise ein Abbild von etwas. Nun ist es aber bei einer jeden Frage von der höchsten Wichtigkeit, ihren Ausgangspunkt sachgemäß zu behandeln, und so muß man denn auch zwischen der Art, wie man von dem Abbilde und der, wie man von seinem Urbilde zu handeln hat, feste Grenzen ziehen, indem man erwägt, daß die Darstellungsweise mit den Gegenständen, welche sie zum Verständnisse bringen soll, auch selber verwandt ist, und daß daher die Darlegung des Bleibenden und Beständigen und im Lichte der Vernunft Erkennbaren selber das Gepräge des Bleibenden und Unumstößlichen an sich trägt, und so weit es überhaupt wissenschaftlichen Erörterungen zukommt, unwiderleglich und unerschütterlich zu sein, darf man es hieran in Nichts fehlen lassen, die des nach Jenem Gebildeten dagegen, so wie dieses selber nur ein Abbild ist, diesem ihrem Gegenstande entsprechend das des bloß Wahrscheinlichen, denn wie zum Werden das Sein, so verhält sich zum Glauben die Wahrheit. Wenn ich daher, mein Sokrates, trotzdem daß Viele Vieles über die Götter und die Entstehung des All erörtert haben, nicht vermögen sollte, eine nach allen Seiten und in allen Stücken mit sich selber übereinstimmende und eben so der Sache genau entsprechende Darstellung zu geben, so wundere dich nicht, sondern wenn ich nur eine solche liefere, die um Nichts minder als die irgend eines Anderen wahrscheinlich ist, so müßt ihr schon zufrieden sein und bedenken, daß wir Alle, ich, der Darsteller, und ihr, die Beurteiler, von nur menschlicher Natur sind, so daß es sich bei diesen Gegenständen für uns ziemt, uns damit zu begnügen, wenn die Dichtung nur die Wahrscheinlichkeit für sich hat, und wir Nichts darüber hinaus verlangen dürfen.
SOKRATES: Sehr richtig bemerkt, lieber Timaios, und durchaus annehmbar gefordert. Und dein Vorspiel haben wir nun mit Bewunderung entgegengenommen; so führe uns denn auch das Lied selber nach seiner Ordnung zu Ende.
TIMAIOS: So wollen wir denn sagen, welcher Grund den, der dieses All, das Reich des Werdens, zusammenfügte, zu dieser seiner Wirksamkeit bewogen hat. Er war gut, und in einem Guten entsteht niemals Neid, worauf sich derselbe auch immer beziehen könnte, und, weil frei von diesem, wollte er denn auch, daß Alles ihm selbst so ähnlich als möglich werde. Diesen Ausgangspunkt des Werdens und der Welt dürfte man daher wohl mit dem größten Recht einsichtigen Männern als den eigentlichsten zugestehen. [30 St.] Da nämlich der Gott wollte, daß, so weit es möglich, Alles gut und Nichts schlecht sei, aber Alles, was sichtbar war, nicht in Ruhe, sondern in regelloser und ungeordneter Bewegung vorfand, so führte er es denn aus der Unordnung in die Ordnung hinüber, weil er der Ansicht war, daß dieser Zustand schlechthin besser als jener sei. Es war aber und ist Recht, daß der Beste nichts Anderes, als das Schönste vollbringe, und da fand er nun, indem er es bei sich erwog, daß unter den ihrer Natur nach sichtbaren Dingen kein vernunftloses Werk jemals schöner sein werde als ein vernunftbegabtes, wenn man beide als Ganze einander gegenüberstellt, daß aber wiederum Vernunft ohne Seele unmöglich irgend einem Gegenstande zu Teil werden könne. In dieser Erwägung bildete er die Vernunft in eine Seele und die Seele in einen Körper ein, und fügte so aus ihnen den Bau des Weltalls zusammen, um so naturgemäß das möglichst schönste und beste Werk vollendet zu sehen. Und so darf man es denn mit Wahrscheinlichkeit aussprechen, daß diese Welt als ein wirklich beseeltes und vernünftiges Wesen durch des Gottes Vorsehung entstanden ist.
Nachdem dies festgestellt ist, müssen wir wiederum das hieran zunächst sich Anschließende besprechen, welches lebendige Wesen sich denn der Meister bei ihr zum Vorbilde genommen hat, um sie ihm ähnlich zu bilden. Von Allem nun, was zur Gattung der Teile gehört, werden wir sie mit Nichts in Vergleich bringen wollen, denn was dem Unvollkommenen gleicht, kann nicht schön sein, wohl aber werden wir sie Demjenigen, wovon die übrigen lebendigen Wesen als Einzelne, sowie nach ihren Gattungen bloße Teile sind, als am allerähnlichsten setzen. Denn alle die lebendigen Wesen, welche allein dem Gedanken zugänglich sind, faßt Jenes ebenso in sich zusammen, wie diese Welt uns und alle übrigen Geschöpfe, welche sichtbar gebildet sind. Denn da der Gott sie dem schönsten und in allen Stücken vollkommenen unter allen Gegenständen der Gedankenwelt am ähnlichsten machen sollte, so fügte er sie zu einem einzigen sichtbaren lebendigen Wesen zusammen, welches alle ihrer Natur nach mit ihm verwandten belebten Wesen in sich enthielt. [31 St.] Sprechen wir also mit Recht nur von einer Welt, oder wäre es richtiger von vielen, ja von einer unbegrenzten Zahl zu reden? Nur von einer kann die Rede sein, wenn anders sie wirklich nach ihrem Urbilde ins Werk gesetzt sein soll. Denn jenes, alle nur immer der Gedankenwelt angehörigen belebten Gebilde umfassende Wesen kann unmöglich ein zweites neben einem anderen sein; denn dann müßte es wiederum noch ein anderes, jene beiden umfassendes Wesen geben, dessen Teile dann also jene beiden wären, und es würde dann die Welt nicht mehr ein jenen beiden, sondern vielmehr ein diesem sie umfassenden Nachgebildetes richtiger genannt werden. Damit sie also als einzig in ihrer Art dem vollkommenen lebendigen Wesen ähnlich wäre, darum bildete der Schöpfer weder zwei, noch auch unzählige Welten, sondern, wie dies Weltgebäude als ein einzig geborenes entstanden ist, so besteht es auch und wird auch fernerhin also bestehen.
Körperlich, sichtbar und fühlbar muß nun aber das Gewordene sein. Ohne das Feuer aber kann schwerlich je Etwas sichtbar werden, noch fühlbar ohne etwas Festes und fest wiederum nicht ohne Erde; daher bildete der Gott den Körper des All, als er ihn zusammenzusetzen begann, zunächst aus Feuer und Erde. Zwei Dinge allein aber ohne ein drittes wohl zusammenzufügen ist unmöglich, denn nur ein vermittelndes Band kann zwischen Beiden die Vereinigung bilden. Von allen Bändern ist aber dasjenige das schönste, welches zugleich sich selbst und die durch dasselbe verbundenen Gegenstände möglichst zu Einem macht. Dies aber auf das Schönste zu bewirken, ist die Proportion da. [32 St.] Denn wenn von drei Zahlen oder Massen oder Kräften von irgend einer Art die mittlere sich eben so zu letzten verhält, wie die erste zu ihr selber, und ebenso wiederum zu der ersten wie die letzte zu ihr selber, dann wird sich ergeben, daß, wenn die mittlere an die erste und letzte, die erste und letzte dagegen an die beiden mittleren Stellen gesetzt werden, das Ergebnis notwendig ganz dasselbe bleibt, bleibt dies aber dasselbe, so sind sie alle damit wahrhaft unter einander Eins geworden. Wenn nun der Leib des Alls eine Fläche ohne alle Höhe hätte werden sollen, dann würde Ein Mittelglied genügt haben, das Andere und sich selber zusammenzubinden, nun aber kam es ihm zu, ein Körper zu sein, und alle Körper werden nie durch Ein, sondern stets durch zwei Mittelglieder zusammengehalten, und so stellte denn der Gott zwischen Feuer und Erde das Wasser und die Luft in die Mitte, indem er sie so viel als möglich unter einander in dasselbe Verhältnis brachte, so daß sich das Feuer eben so zur Luft wie die Luft zum Wasser, und wie die Luft zum Wasser so das Wasser zur Erde sich verhalten sollte, und verband und fügte auf diese Weise das Weltall zusammen, so daß es sichtbar und fühlbar wurde. Und so wurde denn zu diesem Zwecke und aus diesen also beschaffenen und ihrer Zahl nach auf vier sich belaufenden Wesenheiten der Körper der Welt geschaffen, so daß er vermittelst der Proportion innerlich zusammenstimmte, und besaß dadurch eine solche Anhänglichkeit seiner Teile unter einander, daß er sich mit sich selber in Eins zusammenzog und unauflöslich für jeden Anderen ward, als für den Urheber der Verbindung.
Von diesen vieren nun hat das Weltgebäude ein jedes ganz erhalten. Denn aus allem Feuer und Wasser und aus aller Luft und Erde fügte es der Bildner zusammen und ließ von keinem derselben irgend einen Teil oder eine Kraft außerhalb zurück, indem er dies dabei bezweckte, zunächst, daß es als organisches Wesen zu einem möglichst vollkommenen Ganzen durch [33 St.] sein Bestehen aus möglichst vollkommenen Teilen werde, sodann, daß es ein einziges sei, sofern nichts übrig geblieben, woraus ein Anderes von derselben Art entstehen könnte, ferner auch dem Alter und der Krankheit nicht ausgesetzt, indem er erwog, daß, wenn einen zusammengesetzten Körper Hitze und Kälte und Alles, was sonst starke Wirkungen ausübt, von außen her umgeben und zur Unzeit mit ihm zusammentreffen, sie ihn in Auflösung versetzen und ihm durch Herbeiführung von Krankheit und Alter seinen allmählichen Untergang bereiten. Aus diesem Grunde und in dieser Erwägung erbaute er denn diese Welt als ein einziges Ganzes, welches selbst wieder aus lauter Ganzen besteht und eben deshalb frei ist von Alter und Krankheit. Sodann gab er derselben auch eine Gestalt, wie sie ihr angemessen und ihrer Natur verwandt ist. Demjenigen lebendigen Wesen, welches alles andere Lebendige in sich fassen soll, dürfte nun wohl auch eine Gestalt angemessen sein, welche alle anderen Gestalten in sich faßt. Deshalb drehte er sie denn auch kugelförmig, so daß sie von der Mitte aus überall gleich weit von ihren Endpunkten entfernt war, nach Maßgabe der Kreisform, welches von allen Gestalten die vollkommenste und am meisten sich selber gleiche ist, indem er das Gleiche für tausendmal schöner als das Ungleiche hielt, auswendig aber machte er sie ringsherum auf das Genaueste vollständig glatt, und zwar aus vielerlei Gründen. Bedurfte sie doch der Augen nicht, denn es war nichts Sichtbares, noch auch der Ohren, denn es war nichts Hörbares außerhalb ihrer zurückgelassen, ebenso bestand keine Luft, welche sie noch umgeben und der Einatmung bedurft hätte; auch war sie keines Werkzeuges benötigt, um vermittelst desselben Nahrung zu sich zu nehmen und die früher zu sich genommene, nachdem sie den eigentlichen Nahrungssaft von ihr ausgesogen, wieder von sich zu geben, denn Nichts sonderte sich von ihr aus und Nichts trat irgendwoher zu ihr hinzu, denn es gab Nichts außer ihr, vielmehr ist sie kunstvoll dergestalt gebildet, daß ihre Aussonderungen ihr auch zugleich wieder zur Nahrung dienen, und daß sie Alles innerhalb ihrer selbst erleidet und Alles durch sich selber tut; denn es hielt Der, welcher sie zusammenfügte, sie für vollkommener und besser, wenn sie sich selbst genügte, als wenn sie eines Anderen bedürfte. Hände aber, die ihr weder um irgend Etwas anzugreifen, noch auch abzuwehren, erforderlich waren, glaubte er nutzloser Weise ihr nicht anfügen zu dürfen, und eben so wenig Füße, sowie überhaupt die zum Gehen dienenden Glieder. [34 St.] Denn er teilte ihr eine Bewegung zu, welche einem Körper von der Gestalt des ihrigen eigentümlich und von allen sieben Bewegungen diejenige ist, die am meisten der der Vernunft und Erkenntnis nahe kommt. Nämlich gleichmäßig in demselben Raume und in sich selber führte er sie herum und ließ sie so sich umschwingend im Kreise bewegen, alle sechs andern Bewegungen aber nahm er ihr ab und machte sie von deren Irrwandel frei, und da sie zu jenem Umlauf der Beine nicht bedurfte, so erschuf er sie ohne Schenkel und Füße.
Diese ganze Erwägung nun also desjenigen Gottes, welcher von Ewigkeit ist, wie derselbe sie über denjenigen Gott anstellte, welcher erst ins Dasein eintreten sollte, bewirkte, daß der Körper der Welt glatt und eben und überall gleich weit vom Mittelpunkte abstehend und in sich geschlossen und vollständig aus Körpern, die schon selber vollständig waren, gebildet wurde. Die Seele aber pflanzte er in die Mitte desselben ein und spannte sie nicht bloß durch das ganze Weltall aus, sondern umkleidete den Weltkörper auch noch von außen mit ihr. Und so richtete er denn das Weltganze her als einen im Kreise sich drehenden Umkreis, welcher, einzig und einsam, durch seine Vortrefflichkeit mit sich selber des Umgangs zu pflegen vermag und keines Anderen dazu bedarf, sondern hinlänglich bekannt und befreundet ist allein mit sich selber, und durch alle diese Veranstaltungen schuf er es zu einem seligen Gotte.
Die Seele hat nun aber nicht etwa, wie wir jetzt später von ihr zu reden beginnen, so auch der Gott erst nach dem Körper gebildet, denn nicht würde er bei der Zusammenfügung beider zugelassen haben, daß das Altere von dem Jüngeren beherrscht werde, sondern wir, wie wir vielfach vom Zufall und Ohngefähr abhängig sind, reden nur gerade eben auf dem entsprechende Weise, er dagegen fügte die Seele so, daß sie ihrer Entstehung so wie ihrer Vortrefflichkeit nach dem Körper voranging und ihm gegenüber die dem höheren Alter zustehende Würde empfing, [35 St.] als seine künftige Herrin und Gebieterin aus folgenden Bestandteilen und auf folgende Weise zusammen. Aus beiden, nämlich aus der unteilbaren und immer sich gleich bleibenden Wesenheit und sodann derjenigen, welche an den Körpern teilbar wird, mischte er eine dritte Art von Wesenheit zusammen, welche die Mitte hielt zwischen der Natur des Selbigen und der des Anderen, und stellte sie demgemäß in Einer Reihe hin, so daß unter ihnen jene die Mitte einnahm zwischen dem Unteilbaren und dem an den Körpern haftenden Geteilten. Darauf nahm er alle drei und mischte sie zu einer einzigen Gestaltung zusammen, indem er die der Mischung widerstrebende Natur des Anderen gewaltsam mit dem Selbigen verträglich machte. Und nachdem er so beide mit der Substanz gemischt und so aus Dreien Eins gemacht hatte, teilte er wiederum dieses Ganze in so viel Teile als es sich gehörte, so aber, daß ein jeder aus dem Selbigen, dem Anderen und der Substanz zusammengesetzt war. Er begann aber diese Teilung folgendermaßen. Zuerst nahm er einen Teil von dem Ganzen weg, darauf das Doppelte desselben, zum Dritten sodann das Anderthalbfache des zweiten Teils, zum Vierten das Doppelte des zweiten, zum Fünften das Dreifache des dritten, zum Sechsten das Achtfache des ersten und zum Siebten das Siebenundzwanzigfache des ersten. [36 St.] Hierauf füllte er sowohl die zweifachen als dreifachen Zwischenräume aus, indem er noch weitere Teile vom Ganzen abschnitt und sie in die Mitte von ihnen hineinsetzte, so daß in jedem Zwischenraume zwei Mittelglieder waren, von denen das eine um den gleichen Bruchteil der äußeren Glieder das eine der letzteren übertraf und von andern übertroffen wurde, das andere aber um eine gleiche Zahl. Da nun aber Zwischenräume von 3/2, 4/3 und 9/8 durch diese Verbindungsglieder innerhalb der früheren Zwischenräume entstanden waren, so füllte er mit dem Zwischenraume von 9/8 alle Zwischenräume von 4/3 aus und ließ so von einem jeden der letzteren noch Einen Teil übrig, so daß der Zwischenraum dieses Teiles, in Zahlen ausgedrückt, dem Verhältnisse der Glieder 243 zu 256 entsprach. Und damit hatte er denn auch die Mischung, von welcher er alle diese Teile hinwegnahm, ganz und gar verbraucht. Dies ganze so zusammengefügte Gebilde aber spaltete er der Länge nach in zwei Teile, verband dieselben kreuzweise in ihrer Mitte, so daß sie die Gestalt des Buchstabens Chi (X) bildeten, und bog dann jeden von beiden in einen Kreis zusammen, so daß er also jeden mit sich selbst und beide mit einander in dem Punkte, welcher ihrer Durchschneidung gegenüberlag, verknüpfte, umschloß beide mit der auf dieselbe Weise und in demselben Raume herumgeführten Bewegung, und machte den einen dieser Kreise zum äußeren und den andern zum inneren. Den Umlauf sodann, der im äußeren und den, der im inneren Kreise vor sich ging, benannte er nach den beiden Wesenheiten, von welchen sie herrührten, jenen den des Selbigen und diesen den des Anderen, und führte den ersteren in der Richtung der Seite nach Rechts herum, den letzteren aber in der Richtung der Diagonale nach Links. Das Übergewicht aber verlieh er dem des Selbigen und Gleichartigen, denn er beließ ihn in ungeteilter Einheit, den inneren aber spaltete er sechsfach und teilte ihn so in sieben ungleiche Kreise, je nach den Zwischenräumen des Zweifachen und Dreifachen, und setzte fest, daß zwar einander entgegengesetzt die Kreise sich bewegen sollten, drei aber an Geschwindigkeit gleich, vier hingegen unter sich und von dreien verschieden, jedoch so, daß sie sich nach einem bestimmten Verhältnisse bewegten.
Nachdem nun nach dem Sinne des Meisters die ganze Zusammenfügung der Seele erfolgt war, bildete er hierauf Alles, was körperlich ist, innerhalb derselben und fügte es so zusammen, daß es dieselbe mitten durchdrang. Sie selbst aber, die sie nicht bloß das ganze Weltgebäude überall von der Mitte bis zum Umkreise durchflocht, sondern es auch von außen her rings herum einschloß und die sie rein in sich selber ihren Kreislauf vollbrachte, nahm den göttlichen Anfang eines unvergänglichen und vernunftbegabten Lebens für alle Zeiten. Und der Körper der Welt ward, wie gesagt, sichtbar, sie selbst aber zwar unsichtbar, aber, was sie eben erst zur Seele macht, [37 St.] der Vernunft und Harmonie der Gedankenwelt und des ewig Seienden teilhaftig und so durch den edelsten Schöpfer das Edelste von allem Geschaffenen. Da sie nämlich aus der Natur des Selbigen und des Anderen und der Substanz, also aus ihrer drei Teilen, zusammengemischt und nach Verhältnissen geteilt und verbunden ist, und in ihrem Kreislaufe in sich selber zu sich selber zurückkehrt, so wird sie, wenn sie mit irgend Etwas in Berührung tritt, mag nun dasselbe ein teilbares Wesen haben oder ein unteilbares, durch ihr ganzes Selbst hindurch bewegt und gibt eben hiedurch kund, womit nur immer irgend Etwas Dasselbige oder wovon es verschieden ist, und in was für Beziehung vornehmlich und auf welche Art und Weise und, wann für dasselbe der Fall eintritt, was immer und im Verhältnis zu wem immer sowohl von dem Werdenden als auch von dem immer sich Gleichbleibenden zu sein, so wie zu erleiden. Wird nun aber diese Kundgebung, welche das durch sich selber Bewegte ohne Laut und Schall in sich trägt, auf gleiche Weise wahr, mag sie nun auf das Andere oder auf das Selbige sich beziehen, so entstehen, wenn sie auf das sinnlich Wahrnehmbare gerichtet ist und der Kreislauf des Anderen im richtigen Gange die Kunde der Sache durch die ganze Seele verbreitet hat, sichere und richtige Vorstellungen und Meinungen, wenn sie aber auf das Vernünftige sich erstreckt und der Kreislauf des Selbigen, indem er wohl von Statten gegangen, ihr solche Kunde gebracht hat, dann kommt notwendig vernünftige Einsicht und Wissenschaft zu Stande. Wenn aber Einer von Allem, was da ist, Dasjenige, in welchem diese so wie jene entstehen, anders als Seele nennen wollte, so würde er Alles eher als die Wahrheit sagen.
Als nun aber der Vater, welcher das All erzeugt hatte, es ansah, wie es bewegt und belebt und ein Bild der ewigen Götter geworden war, da empfand er Wohlgefallen daran, und in dieser seiner Freude beschloß er denn es noch mehr seinem Urbilde ähnlich zu machen. Gleichwie nun dieses sei- her ein unvergängliches Lebendiges ist, ebenso unternahm er es daher, auch dieses All nach Möglichkeit zu einem eben solchen zu machen. Nun war aber die Natur des höchsten Lebendigen eine ewige, und diese auf das Entstandene vollständig zu übertragen war eben nicht möglich; aber ein bewegtes Bild der Ewigkeit beschließt er zu machen, und bildet, um zugleich dadurch dem Weltgebäude seine innere Einrichtung zu geben, von der in der Einheit beharrenden Ewigkeit ein nach der Vielheit der Zahl sich fortbewegendes dauerndes Abbild, nämlich eben das, was wir Zeit genannt haben. Nämlich Tage, Nächte, Monate und Jahre, welche es vor der Entstehung des Weltalls nicht gab, läßt er jetzt bei der Zusammenfügung desselben zugleich mit ins Entstehen treten. Dies Alles aber sind Teile der Zeit und das War und Wirdsein sind Formen der entstandenen Zeit, obwohl wir mit Unrecht, ohne dies zu bedenken, dieselben dem ewigen Sein beilegen. Denn wir sagen ja von ihm: „es war, ist und wird sein,” während ihm doch nach der wahren Redeweise allein das „Es ist” zukommt, [38 St.] wogegen man die Ausdrücke „es war" und „es wird sein” lediglich von dem in der Zeit fortschreitenden Werden gebrauchen darf. Denn Beides bezeichnet Bewegungen, Demjenigen aber, welches sich unbeweglich stets auf die gleiche Weise verhält, kommt es nicht zu, weder älter noch jünger zu werden im Verlaufe der Zeit, noch es ehemals oder jetzt geworden zu sein oder es in Zukunft werden zu sollen, kurz, es kommt ihm überhaupt nichts von alle dem zu, was das Werden mit den im Gebiet der Sinnenwelt sich bewegenden Dingen verknüpft hat, sondern es sind dies die Formen der die Ewigkeit nachahmenden und nach den Zahlenverhältnissen im Kreise sich fortbewegenden Zeit geworden. Und eben so steht es mit Ausdrücken folgender Art: das Entstandene sei ein Entstehendes und das Entstehen werdende sei ein Nichtseiendes, welches Alles keine genauen Bezeichnungen sind. Doch dürfte gegenwärtig vielleicht nicht der schickliche Zeitpunkt dazu sein, hierüber Bestimmungen zu treffen, wie es, genau genommen, heißen müßte.
So entstand denn also die Zeit zugleich mit der Welt, damit beide, zugleich ins Leben gerufen, auch zugleich wieder aufgelöst würden, wenn ja einmal ihre Auflösung eintreten sollte, und nach dem Urbilde der schlechthin ewigen Natur, damit die Welt ihr so ähnlich als möglich werde. Denn das Urbild ist ein durch alle Ewigkeit Seiendes, sie aber immerfort durch alle Zeit geworden, seiend und sein werdend. Zufolge solcher Betrachtung und Überlegung des Gottes in bezug auf die Zeit entstanden, damit dieselbe hervorgebracht werde, Sonne, Mond und die fünf anderen Sterne, welche den Namen der Wandelsterne tragen, zur Unterscheidung und Bewahrung der Zeitmaße. Und nachdem der Gott den Körper eines jeden von ihnen gebildet hatte, setzte er sie ihrer sieben in die sieben Kreise hinein, welche der Umlauf des Anderen beschrieb, den Mond in den welcher zunächst um die Erde kreiste, die Sonne in den zweiten oberhalb ihrer, den Morgenstern aber und den, welcher dem Merkur heilig ist und nach ihm genannt wird, in die dem der Sonne an Geschwindigkeit gleichen Kreise, versah sie jedoch mit einer der Sonne entgegenstrebenden Kraft der Bewegung, weshalb denn die Sonne und der Merkur und Morgenstern auf gleiche Weise einander einholen und von einander eingeholt werden. Was aber die übrigen anlangt, so würde, wenn man von allen angeben sollte, wohin und aus welchen Gründen er sie dahin versetzte, diese Auseinandersetzung, die doch nur eine beiläufige wäre, umständlicher sein als die Erörterung selber, welche uns hierauf geführt hat. Vielleicht wird denn auch dieser Gegenstand späterhin bei größerer Muße eine Darlegung finden, wie er sie verdient. Nachdem nun also alle die Sterne, welche zur Erzeugung der Zeit mitwirken sollten, in den einem jeden zukommenden Umschwung gebracht und durch beseelte Bänder, die ihre Körper zusammenhielten, zu lebendigen Wesen erhoben und des ihnen Aufgetragenen inne geworden waren, so gingen sie in dem Umschwunge des Anderen, [39 St.] welcher schräg ist, indem er den Umschwung des Selbigen durchschneidet und von ihm beherrscht wird, herum, indem sie teils eine größere, teils eine kleinere Kreisbahn umschrieben, und zwar die, welche eine kleinere beschrieben, schneller und die, welche eine größere, langsamer. Und durch den Umschwung des Selbigen schienen nun dabei die, welche am schnellsten herumgingen, von den langsamer sich bewegenden eingeholt zu werden, während doch vielmehr diese die ersteren einholten, denn da die Umkreisung des Selbigen alle Kreisbahnen dieser Gestirne sich schraubenförmig zu drehen zwang, insofern diese Bahnen zwiefach in entgegengesetzter Richtung fortrücken, so bewirkte sie den Schein, als ob die sich am langsamsten von ihr, die sie das Schnellste ist, entfernenden ihrer Geschwindigkeit am nächsten kämen. Damit aber ein deutliches Maß für das gegenseitige Verhältnis von Langsamkeit und Geschwindigkeit vorhanden wäre, mit welcher die acht Umläufe sich bewegten, so zündete Gott in den zweiten derselben von der Erde ab ein Licht an, eben das, was wir jetzt Sonne nennen, auf daß es möglichst durch das ganze Weltall schiene und die belebten Wesen, so vielen immer dies zukam, des Zahlmaßes teilhaftig würden, dessen sie durch die Umkreisung des Selbigen und Gleichartigen inne geworden. Tag und Nacht entstanden auf diese Weise und durch diese Veranstaltung als der Umlauf der einigen und vernünftigsten Kreisbewegung, der Monat aber, wenn der Mond seinen Kreislauf vollendet und die Sonne eingeholt hat, endlich das Jahr, so oft die Sonne ihre Bahn umschrieben hat. Die Umläufe der übrigen aber haben die Menschen bis auf wenige unter den vielen nicht beachtet und geben ihnen daher weder Namen, noch messen sie dieselben gegen einander zufolge angestellter Beobachtungen nach Zahlen ab, so daß sie geradezu nicht einmal wissen, daß ihre Bahnen, deren Menge verwirrt und deren Mannigfaltigkeit wunderbar ist, eine Zeit bezeichnen. Es ist jedoch nichts desto weniger möglich zu beobachten, daß die vollständige Seitenzahl auch das große Jahr aus 19 Sonnenjahren voll macht, dann wann die gegenseitigen Geschwindigkeiten aller acht Umläufe zugleich beendigt zu ihrem Ausgangspunkte zurückkehren, sofern man sie nach dem Kreise des Selbigen und sich gleichartig Bewegenden mißt. Auf diese Weise also und zu diesem Zwecke wurden alle die Sterne hervorgebracht, welche den Weltenraum in gewundener Linie durchwandern, auf daß diese lebendige Welt dem vollkommenen und nur dem Gedanken erfaßbaren Lebendigen so ähnlich als möglich werde in Nachahmung seiner schlechthin ewigen Natur.
Und in allen übrigen Stücken bis zu der Entstehung der Zeit hin war sie nun bereits dem, welchem sie nachgebildet wurde, entsprechend vollendet; aber darin, daß sie noch nicht alle lebenden Wesen in sich faßte, so daß dieselben innerhalb ihrer entstanden waren, verhielt sie sich noch unähnlich gegen dasselbe. Und so vollendete der Bildner denn auch dies, was ihr noch mangelte, indem er es nach der Natur des Urbildes ausprägte. Wie viel nämlich und welcherlei Gestalten die Vernunft nur immer in dem wahrhaft seienden Lebendigen als ihm einwohnende erblickt, so viel und solcherlei, glaubte er, müsse auch dieses empfangen. Es gibt aber deren vier: die eine das himmlische Geschlecht der Götter, [40 St.] die andere die geflügelte und die Lüfte durchschwebende, die dritte die im Wasser lebende Gattung, und die vierte die welche sich auf ihren Füßen bewegt und auf dem Erdboden wohnt. Die Gestalt des Göttlichen nun bildete er größtenteils aus Feuer, damit es so glänzend und schön als möglich anzuschauen wäre, machte es in Nachbildung des Weltganzen wohlgerundet und versetzte es in das vernunftmäßige Denken des Mächtigsten als dessen Begleiter, indem er es im Umkreise rings um das ganze Weltgebäude verteilte, auf daß es demselben ein wahrhafter Schmuck und eine bunte Zierde nach dessen ganzem Umfange sei. Bewegungen aber heftete er ihrer zwei einem Jeglichen aus diesem Kreise an, die eine in demselben Raume und in gleichmäßiger Weise als einem Solchen, welches über dasselbe stets dasselbe bei sich selber denkt, die andere nach vorne als einem Solchen, welches von dem Umschwunge des Selbigen und Gleichartigen beherrscht wird, hinsichtlich der fünf anderen Bewegungen aber ließ er es unbewegt und stillstehend, damit ein jedes dieser Wesen so vollkommen als möglich würde. Aus dieser Ursache also sind alle die Sterne geworden, welche wandellos als lebendige Wesen göttlich und unsterblich und gleichmäßig in demselben Raume sich drehend ewig verharren, diejenigen aber, welche ihre Stellung verändern und somit dem Wandel unterworfen sind, entstanden aus den Gründen, welche schon im Vorigen auseinandergesetzt sind. Die Erde aber, unsere Ernährerin, welche um die durch das All gezogene Achse herumgeballt ist, bildete er zur Wächterin und Werkmeisterin von Tag und Nacht als die erste und älteste von den Gottheiten, so viel ihrer innerhalb des Weltgebäudes entstanden sind. Die Reigenbewegungen aber von diesen selber und ihre gegenseitigen Begegnungen, und was sich auf die Rückkehr ihrer Bahnen in sich selber und ihr Vorrücken bezieht, ferner welche von den Göttern bei den Vereinigungen einander nahe und wie viele einander gegenübertreten, und hinter welchen die einzelnen, indem sie einander ins Licht treten, und zu welchen Zeiten sie sich für uns verbergen und, wenn sie dann wieder zum Vorschein kommen, Furcht vor dem, was bevorsteht, und Vorzeichen desselben für Die, welche nicht zu rechnen verstehen, mit sich bringen, dies darzustellen ohne Anschauung von Abbildungen, die wieder von ihnen gemacht wären, würde eine vergebliche Mühe sein, und so möge uns vielmehr das Gesagte in der obigen Weise hinreichen und die Erörterung über die Natur der sichtbaren und geschaffenen Götter hiermit ihr Ende haben.
Über die sonstigen götterartigen Wesen aber zu sprechen und ihre Entstehung zu erkennen, übersteigt unsere Kräfte, und wir werden Denjenigen glauben müssen, welche ehedem darüber gesprochen haben, da sie ja, wie sie sagten, Abkömmlinge der Götter waren und doch wohl genau ihre Vorfahren gekannt haben werden. Unmöglich also ist es, den Sprößlingen der Götter den Glauben zu versagen, wenn sie auch ohne wahrscheinliche oder zwingende Beweisgründe sprechen, sondern als Solchen, welche Familienverhältnisse mitzuteilen behaupten, müssen wir ihnen, dem Herkommen folgend, Vertrauen schenken. Folgendermaßen möge daher nach ihrem Bericht hinsichtlich dieser Götter ihre Entstehung für uns sich verhalten und von uns angegeben werden. Der Ge und dem Uranos wurden Okeanos und Tethys geboren, diesen aber wiederum Phorkys, Kronos und Rhea und so Viele mit ihnen entstanden, [41 St.] vom Kronos und der Rhea aber entsprossen Zeus und Hera und Alle, so viel wir ihrer wissen, welche als ihre Geschwister und von diesen selbst noch wieder als Abkömmlinge bezeichnet werden.
Als nun aber die Götter alle, sowohl die, welche sichtbar herumkreisen, als auch die, welche nur erscheinen, je nachdem sie es selber wollen, ihre Entstehung hatten, da spricht zu ihnen der Erzeuger des Alls folgendermaßen: Göttliche Göttersöhne, deren Bildner ich bin und Vater von Werken, welche, durch mich entstanden, unauflösbar sind, weil ich es so will. Denn alles, was zusammengebunden ist, läßt sich zwar auch wieder auflösen, aber das, was schön zusammengefügt ist und sich wohl verhält, würde nur ein Frevler wieder auflösen wollen. Deshalb seid ihr denn auch, weil ihr entstanden seid, zwar nicht schlechterdings unsterblich und unauflösbar, aber nichts desto weniger sollt ihr nimmer aufgelöst noch des Todesgeschickes teilhaftig werden, weil ihr an meinem Willen ein noch stärkeres und mächtigeres Band als jene Bänder erlangt habt, mit denen ihr zusammengebunden wurdet, als ihr entstandet. So merket denn nun, was euch meine Rede verkündet. Es sind noch sterbliche Geschlechter, und zwar ihrer drei übrig, die noch unerzeugt sind, träten nun sie nicht ins Leben, so würde das Weltgebäude unvollständig sein, denn es würde dann nicht alle Geschlechter lebendiger Wesen in sich tragen, und das muß es, wenn es schlechthin vollständig sein soll. Wenn sie aber durch mich entständen und mit Leben begabt würden, so würden sie den Göttern gleich werden. Damit sie also zu Sterblichen werden und dieses All ein wirkliches All sei, so kommt es euch naturgemäß zu, euch an die Hervorbringung der lebendigen Geschöpfe zu machen, indem ihr meine Tätigkeit, wie sie bei eurer Entstehung stattfand, nachahmt. Und so viel an ihnen dem Unsterblichen gleichnamig zu sein verdient, nämlich das göttlich zu Nennende und Leitende in ihnen, soweit sie stets dem Rechte und euch zu folgen geneigt sind, von Dem will ich die Samen und Keime bilden und euch dann übergeben, in ihren übrigen Teilen aber sollt ihr, indem ihr mit Unsterblichen Sterbliches verwebt, die lebendigen Geschöpfe vollenden und erzeugen und, indem ihr ihnen Nahrung gebt, sie wachsen lassen und, wenn sie dahingeschwunden sind, wieder aufnehmen.
So sprach er und goß wiederum in dasselbe Mischgefäß, in welchem er zuvor die Seele des All zusammengemischt hatte, die Überreste derselben Bestandteile hinein und vermischte sie zwar ungefähr auf die gleiche Weise, nahm sie aber nicht von derselben gleichmäßigen Reinheit, sondern vom zweiten und dritten Range. Und nachdem er ein Ganzes gebildet hatte, verteilte er dasselbe in Seelen von gleicher Zahl mit den Sternen und teilte je eine einem jeden zu, und nachdem er sie so wie auf ein Fahrzeug gesetzt hatte, zeigte er ihnen die Natur des All und verkündete ihnen die vom Schicksal verhängten Gesetze, daß nämlich die erste Geburt auf die gleiche Weise für sie alle bestimmt sein werde, auf daß keine von ihnen in Nachteil durch ihn gesetzt würde, und daß sie auf die einzelnen, einer jeden entsprechenden Werkzeuge der Zeit, verpflanzt, zu demjenigen aller lebendigen Geschöpfe werden sollten, welches am meisten die Götter verehre, [42 St.] und da die menschliche Natur eine zweispältige sei, so solle das edlere von beiden Geschlechtern mit einer solchen Beschaffenheit vorgebildet werden, wie sie, hernach mit dem Namen Mann verbunden sein sollte. Sobald sie nun aber der Notwendigkeit gemäß in Leiber eingepflanzt wären, und von ihrem Leibe ein Teil hinzu käme und ein anderer Teil abginge, so müsse notwendig zuerst die Wahrnehmung und Empfindung auf gleiche Weise in ihnen allen entstehen, als notwendig mit starken Erregungen und Eindrücken verwachsen, sodann als das Zweite die Liebe, welche aus Lust und Schmerz gemischt ist, hierauf Furcht, sowie Zorn und Eifer und Alles, was hiermit zusammenhängt, und wiederum Alles, was aus der Gegenwirkung hervorgeht. Wenn sie nun über diese Erregungen herrschten, so würden sie gerecht leben, wenn sie aber sich von ihnen beherrschen ließen, ungerecht. Und wer die ihm zugemessene Zeit hindurch wohl gelebt habe, der solle in die Behausung des ihm verwandten Gestirnes zurückkehren und ein selbiges und seiner Gewohnheit entsprechendes Leben führen, wer aber hierin gefehlt, der werde in eines Weibes Natur bei seiner zweiten Geburt verwandelt werden, wenn er aber auch in diesem Zustande noch nicht seiner Schlechtigkeit Einhalt täte, so solle er der Art derselben entsprechend jedesmal in eine Tiergattung von ähnlicher Art, wie er sie sich angebildet, übergehen und in steter Verwandlung nicht eher ans Ziel seiner Leiden gelangen als bis er, dem Umschwunge des Selbigen und Gleichartigen in sich folgend, jener wirren und vernunftlosen Masse, welche sich später aus Feuer, Wasser, Luft und Erde ihm angesetzt, durch die Vernunft Herr geworden und so in die Gestalt seiner früheren und edelsten Beschaffenheit zurückgekehrt wäre.
Nachdem er ihnen nun alle diese Gesetze verkündet hatte, um an der späteren Schlechtigkeit eines Jeden unschuldig zu sein, verpflanzte er sie teils auf die Erde, teils auf den Mond, teils auf die übrigen Werkzeuge der Zeit. Was aber nach dieser Verpflanzung noch zu tun war, das überließ er den jungen Göttern, nämlich ihnen sterbliche Leiber anzubilden und das noch Rückständige, was zur menschlichen Seele noch hinzukommen mußte, dies und alles damit Zusammenhängende zu vollenden und dann die Herrschaft zu führen und nach Möglichkeit aufs Schönste und Beste das sterbliche lebendige Wesen zu lenken, so weit es nicht selber sich Übel zuziehen würde.
Und nachdem er nun dies Alles angeordnet hatte, verharrte er seinerseits in dem seiner Art angemessenen Zustande, seine Kinder aber inzwischen, nachdem sie die Anordnung des Vaters vernommen, leisteten ihr Folge, und nachdem sie den unsterblichen Keim zu dem sterblichen Lebendigen in Empfang genommen hatten, so entlehnten sie in Nachahmung ihres Erzeugers Teile von Feuer, Erde, Wasser und Luft von der Welt zu künftiger Wiedererstattung, [43 St.] verkitteten darauf diese entnommenen Teile in Eins, indem sie sie nicht mit den unauflöslichen Bändern, durch welche sie selber zusammengehalten wurden, sondern mit einer Menge von Stiften, welche ihrer Kleinheit wegen unsichtbar waren, zusammenhefteten, bildeten so aus der Gesamtmasse jeden einzelnen Körper, und banden endlich die Umschwünge der unsterblichen Seele in diesen ab- und zuströmenden Leib hinein. Diese nun, in einen gewaltigen Strom eingeschlossen, beherrschten denselben weder, noch wurden sie vom ihm beherrscht, sondern gewaltsam wurden sie fortgezogen und zogen sie fort, so daß das ganze lebendige Gebilde bewegt ward, und demnach ohne Ordnung fortrückte, wohin der Zufall es führte, und ohne Vernunft, weil es alle sechs Bewegungen hatte, denn nach Vorn und Hinten und eben so nach Rechts und Links, und nach Oben und Unten, kurz überall nach den sechs Richtungen rücke es in der Irre fort. Denn so heftig auch schon die zuströmende und abfließende Woge war, welche ihm seine Nahrung brachte, so ward doch eine noch heftigere Erschütterung durch die Eindrücke von dem bewirkt, was einem jeden widerfuhr, wenn sein Körper mit einem fremden Feuer von außen zusammenstieß oder mit festen Erdteilen oder der dahingleitenden Feuchtigkeit des Wassers, oder wenn er von einem Wirbel der durch die Luft erregten Winde ergriffen wurde, und dann durch dies Alles Bewegungen erregt und durch den Körper hindurch fortgeführt wurden, bis sie die Seele fanden, und sie wurden denn auch nachher eben hiernach genannt und heißen auch noch jetzt insgesamt Empfindungen. Sie waren es also, welche schon damals für den Augenblick die meiste und stärkste Bewegung hervorbrachten, und indem sie vermöge des unaufhörlich strömenden Flusses die Umläufe der Seele in Bewegung setzten und heftig erschütterten, so hemmten sie sowohl den des Selbigen gänzlich durch ihr Entgegenströmen und hielten seine Herrschaft und seinen Fortgang auf, als sie auch andererseits den des Anderen so erschütterten, daß sie die Zwischenräume des Zweifachen und Dreifachen, welche ihrer je drei von beider Art waren, und die Mittel- und Bindeglieder des Anderthalb-, Vierdrittel- und Neunachtel-fachen, da sie ganz aufzulösen nur dem möglich war, welcher sie zusammengeknüpft hatte, auf alle Weise verkehrten und alle möglichen Durchbrechungen und Störungen in die Kreise hineinbrachten, so viel es ihrer nur geben konnte, so daß sie kaum noch mit einander zusammenhingen und sich zwar noch fortbewegten, aber vernunft- und regelwidrig, bald in entgegengesetzter Richtung, bald zur Seite und bald kopfüber; gleichwie dann, wenn ein Mensch umgekehrt mit dem Haupte auf die Erde sich stützt, die Füße aber nach oben gewandt hat und an irgend Etwas festhält, in diesem Zustande dessen, welcher sich in einer solchen Lage befindet und derer, die ihn ansehen, beiden Teilen gegenseitig das, was dem einen rechts, dem andern links und was dem einen links, dem andern rechts erscheint. Wenn daher die Umläufe von eben demselben und von anderen ähnlichen Vorgängen in heftigem Maße betroffen werden, [44 St.] so bezeichnen sie, wenn sie mit etwas von dem außerhalb Befindlichen, sei es von der Art des Selbigen oder von der des Anderen, in Berührung kommen, sodann das, was das Selbige mit irgend Etwas und das, was ein Anderes ist, als irgend Etwas, auf eine der Wahrheit entgegengesetzte Weise und sind somit trügerisch und unverständig geworden, und keiner von ihnen ist dann der herrschende und leitende, sondern diejenigen, welchen dann von außen her irgend welche Wahrnehmungen und Empfindungen zustoßen und zu Teil werden, dergestalt, daß dieselben auch die Seele in ihrem ganzen Umkreis mit sich fortreißen, diese scheinen dann zu herrschen, obwohl sie beherrscht werden. In Folge aller dieser Erschütterungen wird denn auch die Seele jetzt anfänglich bewußtlos, sobald sie in einen sterblichen Körper hineinverflochten ist. Sobald aber der Strom des Wachstums und der Nahrung in geringerem Maße herzufließt, dann bekommen die Umläufe wieder Ruhe, schlagen wieder ihren eigenen Weg ein und befestigen sich auf demselben immer mehr im Verlaufe der Zeit. Und dann erst machen die Umschwünge, indem sie sich nach dem naturgemäßen Gange der einzelnen Kreise richten und so das Andere und das Selbige mit dem rechten Namen benennen, ihren Besitzer vernunftbeseelt. Kommt nun dann auch noch die rechte Nahrung durch geistige Ausbildung zur Hülfe, dann wird er ganz und gar untadelhaft und gesund und ist der größten Krankheit entflohen. Hat er dies aber vernachlässigt, so gelangt er, nachdem er hinkend die Lebensbahn zurückgelegt hat, unvollkommen und unverständig wieder in die Unterwelt. Dies nun geschieht einst in späterer Zeit; das jetzt Vorliegende aber muß genauer durchgegangen werden. Das also, was Jenem vorangeht, nämlich die Entstehung des Körpers und der Seele nach ihren einzelnen Teilen und aus welchen Ursachen und aus welcher Absicht der Götter sie entstanden sind, haben wir dergestalt zu erörtern, daß wir, wie wir uns überhaupt an das am meisten Wahrscheinliche halten, so auch hierin vorgehen.
Die göttlichen Umläufe nämlich, zwei an der Zahl, schlossen die Götter, indem sie die Gestalt des All, welche ja rund ist, nachahmten, in einen kugelförmigen Körper, nämlich denjenigen ein, welchen wir jetzt Kopf nennen, welcher das göttlichste und Alles an uns beherrschende ist. Daher übergaben sie ihm auch den ganzen Leib als eine für ihn zusammengebrachte Dienerschaft, weil sie bedachten, daß er aller Bewegungen, so viel deren entstehen konnten, teilhaftig sein würde, damit er also nicht auf der Erde, die da Höhen und Tiefen von aller Art hat, herumrollend in Verlegenheit geriete, wie er jene übersteigen und aus diesen sich herausarbeiten sollte, so gaben sie ihm denselben zum Fahrzeuge zu leichtem Fortkommen. Demgemäß erhielt denn der Körper Länge und trieb, indem die Gottheit ihn zum Gehen einrichtete, vier ausstreckbare und biegsame Glieder, mit denen er sich teils anzuhalten, teils aufzustützen, und so aller Orten sich fortzubewegen im Stande ward, [45 St.] indem er den Wohnsitz des Göttlichsten und Heiligsten in uns auf seinem Gipfel trug. Beine und Hände also wuchsen auf diese Weise und zu diesem Zwecke allen an, und da die Götter die vordere Seite für edler und der Herrschaft würdiger hielten, so verliehen sie unserem Gange vorzugsweise die Richtung nach vorne, und eben deshalb mußte auch die vordere Seite des menschlichen Körpers in unterscheidender Weise und unähnlich von der hinteren gebildet werden. Daher fügten die Götter zunächst auf dieser Seite dem Umkreise des Hauptes das Antlitz an, versetzten in dieses die Werkzeuge für die gesamte Überlegungstätigkeit der Seele, und verordneten, daß dasselbe das natürliche Vorne bilden und die Oberleitung haben sollte. Von diesen Werkzeugen aber verfertigten sie zuerst die Leiter des Lichtes, die Augen, und befestigten sie aus folgender Ursache im Gesichte. So viel nämlich vom Feuer nicht die Eigenschaft hat zu brennen, sondern das milde Licht zu verbreiten, welches jedem Tage eigentümlich ist, bildeten sie zu einem Körper. Nämlich das in uns befindliche hiemit verwandte reine Feuer ließen sie glatt und dicht aus den Augen ausströmen, indem sie das ganze Gewebe derselben, und zwar vorzugsweise den mittleren Teil von ihm, so fest zusammenzogen, daß es alles andere Feuer von dichterer Beschaffenheit zurückhält und nur das von jener Art rein hindurchläßt. Sobald daher das Tageslicht diese Ausströmung des Sehstrahles in sich aufnimmt, so strömt eben damit Gleichartiges zu Gleichartigem aus, und Beides verschmilzt durch diese seine Verwandtschaft in gerader Richtung vom Auge zu einem einzigen Körper, wo nur immer das von innen ausströmende Feuer an demjenigen, welches von den äußeren Gegenständen her mit ihm zusammentrifft, im Gegenstoße einen Halt findet. Und da nun dieser Lichtkörper eben wegen seiner durchweg gleichartigen Beschaffenheit auch in allen seinen Teilen die gleichen Eindrücke empfängt, so teilt er von allen Gegenständen, mit welchem derselben er nur immer in Berührung tritt und welcher andere mit ihm, ihre Bewegungen dergestalt dem ganzen Leibe mit, daß sie durch diesen bis zur Seele hindurchdringen, und erzeugt so die Empfindung, auf welche eben wir den Ausdruck „wir sehen” anwenden. Sobald dagegen das verwandte Feuer in Nacht dahingegangen, so wird und bleibt der Sehstrahl abgeschnitten, denn da er nunmehr zu Unähnlichem heraustritt, so verändert er auch sich selber und erlischt, indem er nicht mehr mit der umgebenden Luft eine Verbindung eingeht, weil dieselbe kein Feuer hat. Er hört daher auf, eine Gesichtswahrnehmung hervorzubringen und führt überdies auch den Schlaf herbei. Indem nämlich das, was die Götter zum Schutze des Gesichtes ins Leben gerufen haben, das Gebilde der Augenlider, indem diese sich schließen, so halten sie die Gewalt des Feuers inwendig zurück, und dieses zerstreut und beschwichtigt sodann die Bewegungen im Inneren, so daß in Folge dessen Ruhe eintritt. Ist nun diese Ruhe in einem hohen Grade vorhanden, so entsteht ein nur wenig von Träumen getrübter Schlaf, sind aber einige stärkere Bewegungen zurückgeblieben, so bewirken diese, [46 St.] daß Traumerscheinungen, welche der eigenen Natur dieser Bewegungen, sowie, der der Orte, an denen sie zurückgeblieben sind, an Art und Zahl entsprechen, sich im Inneren bilden und sodann nach dem Erwachen der Erinnerung auch äußerlich entgegentreten. Eben so ist auch die Erzeugung der Bilder in den Spiegeln und der Widerschein in allen Körpern von glatter und glänzender Oberfläche nicht mehr schwer zu erklären. Denn indem sodann gemäß der Verbindung, welche beiderlei Feuer nach innen und nach außen zu mit einander eingehen, beide auf der glatten Oberfläche jedesmal in einen Punkt zusammentreffen und dadurch eine vielfältige Veränderung erleiden, so entstehen daraus notwendig alle hierbei vorkommenden Erscheinungen, zum Beispiel wenn das aus dem Antlitz ausströmende Feuer mit dem des Sehstrahls auf einer glatten und glänzenden Oberfläche verschmilzt. Als Rechtes erscheint dabei das Linke, weil die entgegengesetzten Teile des Sehstrahls dabei mit den entgegengesetzten Teilen in Berührung treten wider die sonst gewohnte Art ihres Zusammentreffens. Oder es erscheint auch im Gegenteil das Rechte als Rechtes und das Linke als Linkes, sobald nämlich das Licht von innen her bei der Verschmelzung mit dem mit welchem es verschmilzt, nach der entgegengesetzten Seite hin fällt. Dies findet aber dann statt, wenn die glatte Oberfläche des Spiegels von beiden Seiten her erhöht ist und so das Rechte nach der linken Seite des Sehstrahls und das Linke nach der rechten desselben hindrängt. Nach der Länge des Antlitzes aber gekehrt läßt dieser nämliche Spiegel Alles kopfüber liegend erscheinen, indem er wieder das unten Befindliche nach der oberen und das oben Befindliche nach der unteren Seite des Seh-Strahles hintreibt.
Dies Alles gehört unter die Hilfsursachen, welche der Gott als dienende Kräfte verwandte, um allen Dingen die Gestalt der möglichsten Vollkommenheit aufzuprägen, nach der Vorstellung der Meisten sind sie freilich nicht bloße Hilfsursachen, sondern die wirklichen Ursachen von Allem, sie, die da Kälte und Wärme hervorbringen, fest und flüssig machen, und überhaupt Alles, was dem ähnliche Zustände bewirkt, allein mit Überlegung und Vernunft auf irgend Etwas hinzuarbeiten sind sie unvermögend. Denn von allen Dingen ist als das einzige, welchem es zukommt, Vernunft zu besitzen, allein die Seele zu bezeichnen, diese aber ist etwas Unsichtbares, während Feuer, Wasser, Erde und Luft insgesamt ihrer Entstehung gemäß sichtbare Körper sind. Wer also ein Freund der Vernunft und Erkenntnis ist, der muß notwendig in einem denkenden Wesen die letzte Ursache suchen, alle Ursachen aber, welche in Dingen liegen, die von anderen in Bewegung gesetzt werden und andere mit Notwendigkeit in Bewegung setzen, erst in zweiter Linie als Ursachen verfolgen. Demgemäß haben denn auch wir zu verfahren, und wir müssen daher zwar beide Gattungen von Ursachen erörtern, jedoch gesondert von einander alle die, welche mit Vernunft des Schönen und Guten Werkmeisterinnen sind, und andererseits alle die, welche, von Einsicht entblößt, ohne Regel und Ordnung hervorrufen, was der Zufall jedesmal mit sich bringt. Und so mag denn hinsichtlich der Hilfsursachen, welche bei den Augen mitwirken, um ihnen das Vermögen, welches sie jetzt besitzen, zu verschaffen, das Bisherige genügen, der Hauptzweck dagegen, zu welchem sie uns nützen und zu welchem eben sie uns von dem Gott geschenkt sind, [47 St.] steht nunmehr zu erörtern. Die Sehkraft nun ist nach meiner Ansicht die Urheberin des größten Nutzens für uns geworden, weil von unsern gegenwärtigen Erörterungen über das All wohl keine einzige wäre gegeben worden, wenn wir weder Sterne noch Sonne noch Weltgebäude sähen. Nun aber nehmen wir Tag und Nacht und auch die Monate und die Jahresumläufe wahr, und haben so durch dies Alles die Zahl sowie den Begriff der Zeit empfangen und sind zur Untersuchung über die Natur des All angeregt worden, und dadurch sind wir zur Philosophie vorgedrungen, welche das größte Gut ist, was dem sterblichen Geschlechte als eine Gabe der Götter zu Teil ward und jemals zu Teil werden wird. So führe ich denn nur dies, als das größte unter den Gütern an, welche von den Augen herstammen, denn wozu brauchten wir noch alle übrigen, die von geringerer Art sind, herzuleiern, die ja jedermann kennt und deren Verlust durch Erblindung doch nur der Nichtphilosoph mit eitler Klage beweint! Vielmehr müssen wir jenen obersten Zweck nach dem Obigen dergestalt als die wahre Ursache hinstellen, daß Gott die Sehkraft für uns erfunden und uns verliehen hat, damit wir die Umläufe der Vernunft im Weltgebäude betrachten und sie auf die Kreisbewegungen unseres eigenen Nachdenkens anwenden könnten, welche jenen verwandt sind, so weit es das Durchschütterte mit dem Unerschütterlichen sein kann, und damit wir nach ihrer genauen Durchforschung und nachdem uns die Berechnung ihres richtigen Ganges, wie er ihrem Wesen entspricht, gelungen, in Nachahmung der von allem Irrsal freien des Gottes die in uns selber ordneten. Und so gilt denn auch ferner in Betreff der Stimme und des Gehöres wiederum das nämliche Verhältnis, und sie sind uns aus dem nämlichen Grunde zu dem nämlichen Zwecke von den Göttern geschenkt worden. Denn sowohl die Sprache ist zu diesem gleichen Zwecke bestimmt und trägt den größten Teil dazu bei, wie auch die musikalische Anwendung der Stimme uns verliehen st, um neben dem Gehöre die Harmonie uns zugänglich zu machen. Die Harmonie aber, welche mit den Umkreisungen der Seele in uns verwandte Umläufe hat, erscheint dem, welcher vernunftgemäß des Umgangs mit den Musen pflegt, nicht als zu einem bloßen vernunftlosen Vergnügen, wie man sie jetzt ansieht, sondern sie ist uns von den Musen als Helferin verliehen, um den in Zwiespalt geratenen Umlauf der Seele in uns zur Ordnung und Übereinstimmung mit sich selber zurückzuführen, eben so wie auch der Takt wegen der Unregelmäßigkeit in uns und des der inneren Anmut entbehrenden Wesens der Meisten uns als Unterstützung zu eben demselben Zwecke von eben Demselben gegeben ist.
In dem bisher Durchgegangenen sind denn nun, Weniges nur noch ausgenommen, die Wirkungen der Vernunft dargelegt worden, wir müssen nun aber auch das, was durch die Notwendigkeit entsteht, in unserer Erörterung niederlegen. [48 St.] Denn die Entstehung dieser Welt war ja eben eine gemischte, indem sie aus einem Zusammentreten der Vernunft und der Notwendigkeit hervorging, jedoch herrschte dabei die Vernunft über die Notwendigkeit, dadurch daß sie dieselbe überredete, das Meiste von dem, was da entstand, zum Besten zu führen, und so kam demgemäß und auf diesem Wege durch die von vernünftiger Überredung besiegte Notwendigkeit im Anfange dieses All so, wie es ist, zu Stande. Wenn also Jemand die Entstehung desselben darstellen will, wie sie wirklich vor sich gegangen ist, so muß er auch seiner Darstellung beifügen, wie weit auch die ziel- und zwecklos umherschweifende Ursache ihrer Natur nach wirklich mit dazu beigetragen hat. Hierher müssen wir also wiederum zurückgehen und, nachdem wir für eben diese Dinge einen anderen, passenderen Anfang aufgesucht haben, über die vorliegenden Gegenstände wiederum ebenso, wie vorhin über die voraufgehenden, noch einmal von vorne anfangen, wir müssen nämlich betrachten, welches vor der Entstehung der Welt die Natur des Feuers, des Wassers, der Luft und der Erde an sich war und in welchem Zustande sie sich damals befanden. Denn bis jetzt hat noch Niemand ihre Entstehungsweise erörtert, sondern gerade als ob wir wüßten, was denn eigentlich das Feuer und überhaupt ein jedes von ihnen ist, pflegen wir sie als Urstoffe hinzustellen und die Elemente des Weltalls zu nennen, während es ihnen doch nicht einmal zukommt, wenn man auch nur ein wenig darüber nachdenkt, auch nur in der Weise, wie die Silben der Wörter, sei es selbst mit bloßer Wahrscheinlichkeit Urbestandteilen gleichgesetzt zu werden. Was wir nun aber unsererseits dabei zu leisten haben, ist folgendermaßen festzustellen. Der Urgrund aller Dinge oder aber die Urgründe, oder wie es sich damit verhalten mag, werden nicht der Gegenstand unserer gegenwärtigen Darstellung sein, und zwar aus keiner andern Ursache, als weil es zu schwer ist, nach dem ihr zu Grunde gelegten Verfahren meine Ansicht hierüber kund zu tun. Und so möget weder ihr begehren, daß ich hierüber sprechen soll, noch würde ich selbst mich zu überreden vermögen, daß ich ein Recht hätte, ein so schwieriges Unternehmen anzugreifen. Indem ich vielmehr das festhalte, was ich gleich im Anfang hervorgehoben habe, die möglichste Wahrscheinlichkeit meiner Erörterungen, werde ich versuchen, auf eine hieran hinter Nichts zurückstehende, sondern vielmehr Alles übertreffende Weise von Anfang an über das Einzelne und das Gesamte zu reden. Gott also wollen wir auch jetzt bei Beginne unserer Auseinandersetzung anrufen, daß er uns glücklich durch diese fremdartige und ungewöhnliche Darstellungsweise hindurchführen und uns zur wahrscheinlichen Ansicht verhelfen wolle, und dann von Neuem beginnen.
Dieser neue Anfang unserer Erörterung über das All erfordert nun eine weitere Unterscheidung als der frühere. Damals nämlich unterschieden wir zwei Gattungen, jetzt aber haben wir noch eine neue dritte aufzuweisen. Jene zwei nämlich reichten für unsere damalige Betrachtungsweise hin, die eine gleichsam als das Urbild zu Grunde gelegt, nur dem Denken erfaßbar und stets auf gleiche Weise seiend, die andere die Nachahmung des Urbildes, [49 St.] dem Entstehen unterworfen und sichtbar, eine dritte aber unterschieden wir damals noch nicht, sondern meinten, daß jene beiden hinreichen würden. Nun aber scheint der Verlauf unserer Erörterung uns zu nötigen, daß wir eine schwierige und dunkle Gattung durch unsere Darstellung klar zu machen suchen. Welche Bedeutung also hat man als die ihr wesentliche ihr beizulegen? Die vor allen, daß sie die Aufnehmerin und gleichsam Amme alles Werdens ist. Allein ist dies auch richtig, so bedarf es doch noch einer genaueren Erklärung von ihr, aber eine solche ist schwierig, zumal weil zu diesem Zwecke notwendigerweise zuvor die Zweifel hinsichtlich des Feuers und der mit ihm auf Einer Linie stehenden Stoffe erörtert werden müssen. Nämlich von einem jeden derselben zu bestimmen, welchen von ihnen man in der Tat vielmehr Wasser und nicht Feuer zu nennen hat, oder überhaupt, welchem beliebigen anderen man gerade einen bestimmten von jenen Namen und nicht vielmehr den aller anderen oder eines einzelnen von ihnen zu geben hat, und zwar so, daß man sich dabei einer zuverlässigen und sichern Bezeichnung bediene, ist schwierig. Doch wie meinen wir denn wohl eben dies und in wie fern können wir darüber mit Fug und worüber denn eigentlich dabei im Zweifel sein? Nun zuvörderst, was wir eben noch Wasser genannt haben, das sehen wir, wie wir glauben, wenn es sich verdichtet, zu Steinen und Erde werden, wenn es dagegen sich verflüchtigt und auflöst, wiederum zu Hauch und Luft, die Luft aber, wenn sie sich entzündet, zu Feuer, und das Feuer umgekehrt, wenn es konzentriert wird und erlischt, sehen wir wieder in die Gestalt von Luft übergehen, und die Luft wiederum, wenn sie sich zusammenzieht und verdichtet, in Wolke und Nebel, und daraus sehen wir denn, wenn sie noch mehr zusammengepreßt werden, flüssiges Wasser und aus dem Wasser aufs Neue Erde und Steine hervorgehen, so daß alle diese Stoffe, wie es scheint, einen Kreislauf des Werdens aus einander beschreiben. Wenn sie nun aber so niemals bestimmt als dieselbigen erscheinen, von welchem unter ihnen könnte man da mit Sicherheit behaupten, daß er eben nur dieser und nicht gerade so gut auch ein anderer ist, ohne sich vor sich selber zu schämen! Nein, dem ist nicht so, sondern bei Weitem am Sichersten werden wir Folgendes über sie festsetzen. Von Allem, was wir bald so und bald anders werden sehen, wie zum Beispiel das Feuer, werden wir niemals sagen: ‚dies ist Feuer’, sondern stets nur: ‚in dieser Beschaffenheit ist dies Feuer’, und nicht ‚dies ist Wasser’, sondern ‚in dieser Beschaffenheit ist dies Wasser’, und überhaupt keins von diesen Dingen so bezeichnen, als ob es irgend eine bleibende Beschaffenheit hätte, welche wir ja eben dadurch anzeigen wollen, wenn wir auf Etwas hinweisen und uns dabei des Ausdruckes ‚dies’ und ‚das’ bedienen. Denn es flieht die Ausdrücke ‚dies’ und ‚das’ und ‚diesem’ und überhaupt alle, mit denen wir es als etwas Bleibendes bezeichnen, und hält ihnen nicht Stand, und daher darf man von keinem einzigen von diesen Gegenständen sagen: ‚dies ist das und das’, wohl aber darf man auf jedes einzelne und auf alle insgesamt die Bezeichnung anwenden: ‚in dieser Beschaffenheit sind sie das und das’, weil sie nämlich einen stetigen Kreislauf von Beschaffenheiten durchmachen, und darf demnach mit einer dieser Beschaffenheiten durchweg zum Beispiel den Namen des Feuers verbinden und muß es überhaupt bei allen Dingen so machen, welche dem Werden unterworfen sind. Worin aber alles Werdende, indem es ihm eingeprägt ist, zur Erscheinung kommt und worein es, aus derselben entschwindend, wiederum zurückgeht, [50 St.] davon allein darf man in seiner Aussage die Wendungen ‚dies ist’ und ‚das ist’ gebrauchen, wogegen wiederum Alles, was irgend eine Beschaffenheit hat, Wärme oder Weiße oder auch das Gegenteil, und alle andern hiermit zusammenhängenden Eigenschaften, keine dieser Bezeichnungen zuläßt. Doch ich will mich bestreben dies noch deutlicher zu machen. Gesetzt es hätte Jemand sämtliche mathematische Figuren aus Gold gebildet und führe dann unaufhörlich fort jede derselben in alle anderen umzubilden, und es zeigte dann Jemand auf eine derselben hin und fragte: „Was ist das?”, so würde bei Weitem die sicherste und richtigste Antwort sein „es ist Geld,” dagegen dürfte man nicht sagen: „Dies ist ein Dreieck“ oder irgend eine andere von den Figuren, welche in das Gold hineingebildet und in ihm entstanden sind, weil sie ja, eben erst gesetzt, auch schon sogleich wieder verändert werden, sondern müßte schon zufrieden sein, wenn der fragliche Gegenstand auch nur einen von einer dieser Figuren hergenommenen Ausdruck der Beschaffenheit mit einiger Sicherheit aufnimmt. Das Gleiche gilt nun auch von derjenigen Wesenheit, welche alle denkbaren Gestalten an sich zuläßt. Sie muß immer als Einunddasselbe bezeichnet werden, denn sie tritt durchaus niemals aus ihrer Beschaffenheit heraus. Nämlich sie nimmt Alles auf und nimmt doch nie und in keiner Weise irgend eine Gestalt an, die irgend einer von Demjenigen ähnlich wäre, was in sie eingeht, sondern wie eine bildsame Masse liegt sie für ein Jedes zum Abdrucke bereit und läßt sich durch Alles, was in sie eintritt, in Bewegung setzen und in Gestalten kleiden, und dadurch erscheint sie denn bald in dieser und bald in jener Form. Was aber in sie eintritt und aus ihr heraustritt, sind stets Abbilder des Seienden, welche nach demselben abgeprägt sind auf eine schwer zu beschreibende und wunderbare Weise, welche wir späterhin weiter verfolgen wollen. Für jetzt also haben wir drei Gattungen in Betracht zu ziehen, das Werdende, das, worin es wird, und das, dessen nachgebildetes Erzeugnis es ist, und dürfen denn auch die aufnehmende Gattung passend mit der Mutter, und die erzeugende mit dem Vater, die zwischen beiden stehende aber mit dem Kinde vergleichen, müssen endlich auch bedenken, daß, wenn ein Gepräge alle nur überhaupt möglichen Mannigfaltigkeiten zeigen soll, die Masse selbst, in welcher es abgedrückt werden soll, nicht wohl auf andere Weise hierzu vorbereitet sein kann, als wenn sie selber keine von allen jenen Gestalten an sich trägt, welche sie irgend woher aufnehmen soll. Denn wenn sie irgend einem von den Gegenständen ähnlich wäre, welche in sie hineintreten, so dürfte sie beim Herantreten und der Aufnahme von Gegenständen, welche von entgegengesetzter oder ganz verschiedenartiger Natur sind, dieselben unvollkommnen in sich abbilden, indem sie ihr eigenes Bild daneben zeigte. Daher muß denn das, was alle Gattungen in sich aufnehmen soll, selber ohne alle Gestalt sein, gleichwie man, um wohlriechende Salben zu gewinnen, vor allen Dingen stets eben den zu Grunde gelegten Stoff mit den Mitteln der Kunst bearbeitet, indem man die Feuchtigkeiten, welche die Wohlgerüche aufnehmen sollen, selber möglichst geruchlos macht, und gleichwie Alle, welche in irgend einem weichen Stoffe Formen abdrücken wollen, durchaus keine bestimmte Form in demselben bestehen lassen, sondern ihm zuvor durch Ebnen die möglichste Glätte geben. [51 St.] In gleicher Weise also kommt es auch dem zu, welches die Abbilder von Allem, was da von Ewigkeit ist, in allen seinen Teilen wiederholt und in vollendeter Gestalt in sich aufnehmen soll, selber seiner Natur nach aller Gestalten zu entbehren. Deshalb dürfen wir aber als die Mutter und Pflegerin dessen, was sichtbar und überhaupt wahrnehmbar geworden ist, weder die Erde, noch die Luft, noch das Feuer, noch das Wasser bezeichnen, noch auch das, was aus ihnen, noch endlich das, woraus sie selber entstanden sind; vielmehr wenn wir sie als eine unsichtbare und gestaltlose, allaufnehmende Gattung betrachten, welche ganz seltsamerweise mit zu denjenigen Gegenständen gehört, die nur dem Denken zugänglich sind, und schwer zu begreifen ist, so werden wir nicht irren, so weit es aber nach dem früher Erörterten möglich ist in ihre Natur einzudringen, so wird man wohl am richtigsten diese Bestimmung treffen, daß als Feuer jedesmal der entzündete Teil derselben erscheine und als Wasser der feucht gewordene, und eben so daß sie als Erde und Luft in so weit erscheint, als sie Abbilder von ihnen in sich aufnimmt.
In genauerer Fassung aber haben wir dabei Folgendes hinsichtlich dieser vier Stoffe zu fragen, ob es ein Feuer an und für sich gibt und überhaupt alles Andere, von denen wir ein jedes so als an und für sich seiend zu bezeichnen pflegen, oder aber ob nur das, was wir sehen und was wir Alles sonst mit den Sinnen des Körpers wahrnehmen, bereits die Wahrheit, die wir in ihnen suchen, und einzig und allein Wahrheit hat und es außerdem schlechthin nichts Anderes gibt, so daß es nur ein eitler Wahn von uns wäre, wenn wir jedesmal von einem jeden Dinge eine nur dem Denken erfaßbare Idee als das Seiende annehmen, und dieselbe nichts als ein Name wäre. Diesen gegenwärtigen Punkt nun ist es nicht geziemend unentschieden und unerforscht zu lassen, indem man sich mit der Versicherung begnügt, es verhalte sich so, andererseits aber dürfen wir eben so wenig unsere langwierige Erörterung durch eine langwierige Zwischenuntersuchung noch weiter ausdehnen, wenn sich daher eine wirkliche und inhaltschwere Begriffsbestimmung, in wenig Worten ausgedrückt, uns zeigen wollte, so dürfte uns dies wohl das Allergelegenste sein. Folgendermaßen gebe ich demnach meine Stimme ab: wenn Vernunft und richtige Vorstellung zwei verschiedene Arten sind, dann muß es schlechterdings jene für sich bestehenden Wesenheiten geben, die von uns nicht wahrgenommen, sondern nur erkannt werden, wenn dagegen, wie es Manchen scheint, die richtige Vorstellung sich gar nicht von der Vernunft unterscheidet, dann muß vielmehr Alles, was wir durch die Sinne des Körpers wahrnehmen, für das Sicherste gelten. Als zwei verschiedene aber müssen sie bezeichnet werden, denn sie sind gesondert von einander entstanden und verhalten sich unähnlich zu einander. Denn die eine von ihnen entsteht durch Belehrung, die andere aber durch Überredung in uns, und die eine ist immer mit richtiger Überlegung verbunden, die andere aber ohne Überlegung, und die eine ist nicht veränderlich durch Überredung, die andere aber läßt sich durch sie verändern, und der einen, darf man behaupten, ist Jedermann teilhaftig, der Vernunft aber nur die Götter und von den Menschen ein geringer Teil. [52 St.] Verhält es sich aber hiemit also, so muß zugestanden werden, das Eine sei die stets auf dieselbe Weise sich verhaltende Art, unerzeugt und unvergänglich, weder in sich ein Anderes von anderswo her aufnehmend, noch selber in irgend ein Anderes eingehend, unsichtbar und auch sonst mittelst der Sinne nicht wahrnehmbar, die, deren Betrachtung dem vernünftigen Denken zu Teil geworden ist, die zweite aber, jener gleichnamig und ähnlich, sinnlich wahrnehmbar, erzeugt in steter Bewegung, entstehend an einem Orte und wieder von da verschwindend, der Vorstellung mit Hülfe der Sinneswahrnehmung erfaßbar, ein drittes aber wiederum immer die Gattung des Raumes, dem Untergange nicht unterworfen, welche Allem, was ein Werden hat, eine Stätte gewährt, selbst aber, den Sinnen unzugänglich, auch vom Geiste nur, so zu sagen, durch einen Bastardschluß erfaßt und kaum zuverlässig bestimmt wird, die, welche wir auch im Auge haben, wenn wir träumen, es müsse doch notwendig das, was ist, an einem Orte sein und einen Raum einnehmen, was aber weder auf der Erde noch sonst im Weltall sich befinde, sei überhaupt gar nicht vorhanden. Alle diese Träumereien von solcher und von dem verwandter Art ziehen denn eben auch die wahrhaft seiende Natur in ihren Kreis hinein, welche doch nimmer schläft, und so vermögen wir denn in Folge dessen, auch wenn wir erwachen, nicht die nötigen Unterschiede zu machen und die Wahrheit zu ergreifen, daß nämlich dem Bilde zwar, da es auch nicht einmal seinen Zweck, um dessen willen es entstanden ist, in sich selber hat, sondern immer nur als Erscheinung eines Anderen umläuft, aus eben diesem Grunde zukommt, in einem Anderen zu werden, damit es doch irgendwie mit dem Sein verknüpft ist, oder aber gar nicht vorhanden zu sein, dagegen dem wahrhaft Seienden der ausgemacht richtige Satz zu Hülfe kommt, daß, so lange zwei Gegenstände von einander verschieden sind, unmöglich der eine von beiden in dem anderen entstehen und so dasselbe zugleich Eins und Zwei werden kann.
So gebe ich denn in der vorliegenden Weise meine Stimme zu der wohlbegründeten Erklärung ab, welche im Wesentlichen darauf hinausläuft, daß das Sein, der Raum und das Werden drei gesonderte Gattungen bilden, die schon bestanden, ehe denn noch die Welt ward, und fernerhin daß die Amme des Werdens in so fern sie sowohl feucht als auch entzündet wird, und eben so auch die Gestalt von Luft und von Erde annimmt und nicht minder allen sonstigen hiermit zusammenhängenden Beschaffenheiten sich fügt, dem Anblicke alle möglichen Erscheinungen darbietet und, weil die sie erfüllenden Kräfte weder ähnlich, noch im Gleichgewichte sind, auch selber in keinem ihrer Teile sich im Gleichgewicht befindet, sondern, unregelmäßig nach allen Seiten hin schwankend, bald von jenen in Erschütterung versetzt werde, bald ihrerseits wiederum durch ihre Bewegung jene in Erschütterung versetze. Jene werden dann für ihr Teil durch die Bewegung, in welche sie dadurch geraten, von einander gesondert, indem ein jedes von ihnen immer anderswohin getrieben wird als das andere, gleichwie, wenn man Getreide in Sieben und vermittelst der übrigen zur Reinigung desselben dienenden Werkzeuge durchschüttelt und auswürfelt, [53 St.] Alles was fest und schwer, und wiederum Alles was locker und leicht ist, an verschiedenen Stellen zu liegen kommt. Eben so wurden damals die vier Gattungen von der Aufnehmerin durchgeschüttelt, indem diese wie ein Werkzeug, welches Erschütterung hervorbringt, in Bewegung gesetzt wurde, und sonderten dadurch das Unähnlichste am meisten von einander ab, und drängten dagegen das Ähnlichste am meisten auf dieselbe Stelle zusammen, weswegen sie denn auch bereits je einen verschiedenen Raum einnahmen, bevor noch das All aus ihnen zusammengefügt und dadurch in die Entstehung getreten war. Doch ermangelten sie damals noch aller Ordnung und alles Maßes, so bald dagegen Hand an die Bildung des Weltalls gelegt wurde, so verlieh der Gott zuerst dem Feuer, dem Wasser, der Luft und der Erde, die bisher zwar wohl schon gewisse Spuren von ihrer eigentlichen Beschaffenheit an sich trugen, aber sich doch in einem Zustande befanden, wie er eben bei keinem Gegenstande anders sein kann, so lange der Gott von ihm fern ist, ihre bestimmten Formen nach Zahl und Gestalt. Daß er sie nun dabei aufs Schönste und Beste zusammenfügte, nachdem sie sich vorher nicht so verhalten hatten, das wollen wir hier, wie immer, vor allen Dingen als die Grundlage hinstellen, sodann aber muß ich ihre nähere Anordnung in einer ungewöhnlichen Weise euch zu beschreiben unternehmen; da indessen auch ihr, auf denselben Pfaden der Bildung wandelt, auf welchen sich diese Erörterung zu bewegen hat, so werdet ihr derselben schon folgen.
Daß nun zunächst Feuer, Wasser, Luft und Erde Körper sind, ist wohl Jedermann klar. Zu einem jeden Körper gehört nun auch Höhe. Höhe aber setzt ganz notwendig wieder Oberfläche voraus. Jede geradlinige Grundfläche ferner besteht aus Dreiecken. Alle Dreiecke aber gehen auf zwei zurück, von denen jedes einen rechten und zwei spitze Winkel hat: das eine, in welchem zwei Seiten gleich sind und die beiden spitzen Winkel Hälften eines rechten Winkels sind, das andere, in welchem diese beiden Winkel Teile eines durch ungleiche Seiten ungleich geteilten rechten Winkels sind. In diesen beiden Dreiecken haben wir daher den Ursprung des Feuers und aller andern Körper zu suchen, wenn wir jener Wahrscheinlichkeit folgen wollen, welche im Gebiete der Notwendigkeit erreichbar ist, die noch ursprünglicheren Urbestandteile aber kennt nur der Gott und von den Menschen etwa der, den er lieb hat. Und nun ziemt es sich hiernach zu zeigen, welche Beschaffenheiten es sind, die gerade vier Körper zu den schönsten erheben und zwar so, daß dieselben zwar unter einander unähnlich, jedoch mit der Fähigkeit ausgerüstet sind, aus einander zu entstehen, für den Fall, daß einige von ihnen sich aufgelöst hätten. Denn haben wir dies erreicht, so sind wir auch im Besitze der Wahrheit über die Entstehung der Erde und des Feuers und der anderen beiden Körper, welche zwischen jenen die mittlere Proportionale bilden, und dann brauchen wir es Niemandem zuzugeben, daß schönere Körper als diese zu erblicken seien, jeder in seiner Art. Das also ist jetzt unsere Aufgabe, die wohlgeordnete Zusammenfügung dieser vier an Schönheit alle anderen überragenden Arten von Körpern zu verfolgen und so zu zeigen, daß wir die Natur derselben hinlänglich begriffen haben. [54 St.] Unter diesen beiden Dreiecken nun läßt das gleichschenklige nur Eine Art, das ungleichseitige aber deren unzählige zu. Von diesen unzähligen müssen wir nun aber wieder die schönste auslesen, wenn wir den richtigen Weg einschlagen wollen. Weiß daher Jemand eine schönere auszuwählen und anzugeben, um sie zu der Zusammensetzung dieser Körper zu verwenden, so trägt derselbe über uns nicht als Feind, sondern als Freund den Sieg davon, wir aber nehmen von diesen vielen Dreiecken eins als das schönste an, mit Übergehung der anderen, nämlich dasjenige, aus deren zwei ein gleichseitiges Dreieck als drittes entsteht. Warum wir aber so urteilen, das auseinanderzulegen würde uns zu weit führen, aber wir setzen alle Gaben unserer Freundschaft zum Preise darauf, wenn uns Jemand zu widerlegen und ausfindig zu machen im Stande ist, daß es sich nicht also verhalte. Zwei Dreiecke also wollen wir auserlesen haben, aus denen die Körper des Feuers und der andern, sogenannten Elemente, gebildet sind, eins das gleichschenklige, und das andere dasjenige in welchem das Quadrat der größeren Kathete das Dreifache von dem der kleineren beträgt. Was aber vorher ungenau angegeben worden, ist jetzt näher zu beschränken. Alle jene vier Gattungen von Körpern nämlich, so schien es uns vorhin, entstünden aus einander und durch den Übergang in einander, aber mit Unrecht. Denn es entstehen aus den beiden von uns ausgesonderten Dreiecken jene vier Gattungen so, daß aus dem einen, nämlich dem ungleichseitigen, deren drei hervorgehen, und dagegen die vierte Gattung die einzige ist, welche aus lauter gleichschenkligen Dreiecken zusammengesetzt ist, und daher können nicht alle vier in einander aufgelöst und durch die Vereinigung vieler kleiner Massen in wenige große oder auf dem umgekehrten Wege aus einander gebildet werden, sondern nur jene drei, denn da diese alle aus denselben Bestandteilen hervorgehen, so lassen sich nach Auflösung der größeren Massen viele kleinere aus eben deren Bestandteilen so zusammensetzen, daß sie eine andere von den Gestalten, deren sie fähig sind, annehmen, und eben so läßt sich, wenn viele kleine in Dreiecke zerlegt sind, durch die Wiedervereinigung von der Gesamtzahl der letzteren in eine einzige Masse ein einziger großer Körper von anderer Art erzeugen. So viel nun über ihr gegenseitiges Entstehen aus einander. Die Beschaffenheit aber, welche jede Art vermöge ihrer Entstehungsweise an sich trägt, und die Zahlen, deren Zusammentreffen zu diesem Zwecke erforderlich war, dies anzugeben möchte unsere nächste Aufgabe sein. Und da machen wir denn den Anfang mit derjenigen Gattung, deren Zusammensetzung die einfachste und deren einzelne Körperchen daher auch die kleinsten sind. Grundbestandteil derselben ist das Dreieck, dessen Hypotenuse die doppelte Länge der kleineren Kathete hat. Wenn nun zwei solche Dreiecke zu einem Viereck zusammengesetzt werden, so daß ihre Hypotenuse zu dessen Diagonale wird, und sich dies dazu noch zweimal dergestalt wiederholt, daß alle Diagonalen und kleineren Katheten in einen einzigen Punkt zusammenstoßen, so entsteht aus diesen sechs Dreiecken ein einziges gleichseitiges, dessen Mitte eben jener Punkt bildet. Werden aber vier gleichseitige Dreiecke an ihren Seiten verbunden, so bilden sie einen Tetraeder, [55 St.] mit einem Raumwinkel der seiner Größe nach dem Flächenwinkel folgt, und sind deren vier zu Stande gebracht, so tritt damit die erste Gattung eines körperlichen Gefüges ins Leben, das da geeignet ist, ein kugelförmiges Ganzes in gleiche und ähnliche Teile zu zerlegen. Die zweite aber entsteht zwar aus den gleichen Elementardreiecken, aber so, daß sie in acht gleichseitige zusammengetreten sind und mit vier Winkeln einen Raumwinkel bilden, und nachdem deren sechs zu Stande gekommen waren, hatte auch dieser zweite Körper, der Oktaeder, in dieser Weise seine Vollendung erreicht. Der dritte aber ging aus der Zusammenfügung von zweimal sechzig solcher Elementardreiecke und zwölf Raumwinkeln hervor, deren jeder von fünf Flächenwinkeln der gleichseitigen Dreiecke eingeschlossen wird, so daß das Ganze, der Ikosaeder, zwanzig gleichseitige dreieckige Flächen erhält. Und der eine von den beiden Urbestandteilen hatte mit diesen aus ihm hervorgegangenen Bildungen seine Aufgabe erfüllt, das gleichschenklige Dreieck aber rief den vierten Körper ins Dasein, indem es zu vieren zusammentretend und die Spitzen der rechten Winkel dabei in einem Mittelpunkte vereinigend, zunächst ein gleichseitiges Viereck hervorbrachte, sechs solche Dreiecke aber, zusammengesetzt, erzeugten sodann acht Raumwinkel, indem deren jeder aus drei rechtwinkligen Winkeln zusammengefügt ward. Die Gestalt dieses so zusammengesetzten Körpers aber ward die des Kubus, und es enthält derselbe sechs viereckige gleichseitige Flächen. Da es aber noch eine fünfte Art der Zusammensetzung gibt, so bediente sich der Gott derselben für das Weltganze, als er diesem seinen Bilderschmuck gab.
Wenn man nun dies Alles sorgsam bei sich erwägt, um darnach die Frage zu entscheiden, ob man eine unbeschränkte oder eine beschränkte Zahl von Welten anzunehmen habe, so wird man zwar Denjenigen, welcher dieselbe für unbeschränkt ansieht, für in Wahrheit beschränkt in solchen Dingen erklären, deren Kunde doch durchaus für den Menschen erforderlich ist, ob man aber wirklich ihrer nur Eine oder aber fünf als entstanden zu setzen habe, darüber dürfte man von diesem Standpunkte aus mit Fug und Recht eher im Zweifel sein. Unsere Auffassungsweise nun geht der Wahrscheinlichkeit gemäß dahin, daß ihrer nur Eine geworden sei, Andere aber mögen nach irgend welchen anderen Gesichtspunkten anders darüber urteilen. Lassen wir sie also und verteilen vielmehr die Gestaltungen, deren Entstehung unsere Darstellung beschrieben hat, unter die vier sogenannten Elemente Feuer, Erde, Wasser und Luft. Der Erde nun haben wir die Gestalt des Kubus zuzuteilen, denn unter allen vier ist sie am unbeweglichsten und der bildsamste aller Körper, am meisten aber kommt eine solche Beschaffenheit notwendig Demjenigen zu, welches die festesten und sichersten Grundlagen hat, und als Grundlage ist eben so wohl von den beiden vorhin angenommenen Dreiecken naturgemäß dasjenige, welches zwei gleiche Seiten hat, sicherer als das ganz ungleichseitige, als auch die aus jedem von beiden zusammengesetzte gleichseitige viereckige Fläche eben so den Teilen wie dem Ganzen nach notwendig fester dasteht als die gleichseitige dreieckige. [56 St.] Indem wir daher diese Gestalt der Erde zuteilen, halten wir die Wahrscheinlichkeit fest, dem Wasser ferner geben wir von den noch übrigen die am schwersten, dem Feuer dagegen die am leichtesten bewegliche, und der Luft die mittlere, und den kleinsten jener Elementarkörper dem Feuer, den größten hingegen dem Wasser, und den mittleren der Luft, und endlich den spitzigsten dem Feuer, den, welcher in Bezug hierauf die zweite Stelle einnimmt, der Luft und den, welcher die dritte, dem Wasser. Von ihnen allen aber muß der, welcher die wenigsten Grundflächen hat, auch der eindringlichste und spitzigste in jedem Betracht und überdies, weil er aus den wenigsten Teilen derselben Art besteht, der leichteste und aus beiden Gründen der beweglichste sein, der aber, welcher ihm in der ersteren Eigenschaft am nächsten steht, auch die letztern in geringerem und der dritte in noch geringerem Grade besitzen. Und so setzen wir denn aller Wahrscheinlichkeit nach mit Recht unter den Körpern, die sich uns gebildet haben, denjenigen, welcher die Gestalt der Pyramide hat, als Urbestandteil und Samen des Feuers, und den, welcher sich uns als der zweite ergab, haben wir als den der Luft, und den dritten als den des Wassers anzusehen. Alle diese Körper muß man sich aber in dieser ihrer Eigenschaft so klein denken, daß jeder einzelne von jeder Gattung wegen seiner Kleinheit von uns nicht wahrgenommen werden kann und daß vielmehr, wenn viele von ihnen zusammengehäuft sind, Anhäufungen vieler derselben von uns erblickt werden, und ferner auch haben wir anzunehmen, was die Verhältnisse ihrer Mengen, Bewegungen und sonstigen Kraftäußerungen anlangt, daß der Gott, indem die Notwendigkeit freiwillig und durch seine Überredung bewogen ihm darin nachgab, diese Körperchen in allen Stücken mit der größten Genauigkeit zu ihrer ganzen Vollständigkeit ausbildete und so diese ihre Verhältnisse ganz in Proportion mit einander setzte.
Nach Allem nun, was wir vorher über diese Substanzen bemerkt haben, dürfte es sich der Wahrscheinlichkeit gemäß damit ungefähr folgendermaßen verhalten. Erde, beim Zusammentreffen mit Feuer von der Spitzigkeit desselben aufgelöst, mag nun diese Auflösung im Feuer selbst oder in einer Luft- oder Wassermasse Statt gefunden haben, wird so lange umgetrieben, bis ihre Teile irgendwie wiederum zusammentreffen und sich mit einander verbinden und so wieder zu Erde werden, denn sie kann niemals in eine andere Gattung übergehen. Wasser aber, von Feuer oder auch von Luft zerteilt, gestattet, daß beim Wiederzusammentreffen der Teile Ein Körper von Feuer und zwei von Luft entstehen, die Bruchteile endlich von einem aufgelösten Stück Luft können sich wieder zu zwei Körpern von Feuer zusammensetzen. Und umgekehrt, wenn Feuer von Luft und Wasser oder auch einem Stück Erde eingeschlossen ist, und zwar eine geringe Masse von einer großen und, von der Gewalt ihrer Bewegung fortgerissen, im Kampfe erliegt und zernichtet wird, dann treten zwei Feuerkörperchen in einen Luftkörper zusammen, und wenn die Luft erdrückt und in ihre Teile aufgelöst ist, dann wird sich aus zwei ganzen und einem halben ein einziger ganzer Teil Wasser zusammenfügen. Wir haben dabei nämlich wieder dies in Betracht zu ziehen, daß, wenn irgend eine von den anderen Gattungen vom Feuer ergriffen und [57 St.] durch die Schärfe seiner Ecken und Kanten zerschnitten wird, diese Zerteilung aufhört, sobald die Urbestandteile so wieder zusammentreten, daß sie die Natur des Feuers annehmen, denn nichts Gleiches und Ähnliches kann eine Veränderung in dem Gleichen und Ähnlichen hervorbringen noch von ihm erleiden, so lange es aber an irgend ein Anderes gerät, und zwar so daß dieses das stärkere ist, und mit ihm in Kampf tritt, hört es nicht auf zersetzt zu werden. Wenn dagegen umgekehrt die kleineren von einer überwiegenden Masse der größeren eingeschlossen und in Folge dessen zersetzt und zerstört werden, so nimmt dieser Vorgang damit sein Ende, daß sie dem nicht widerstreben können, in die Gestalt des siegenden Körpers wieder zusammenzutreten, und so wird aus Feuer Luft, aus Luft Wasser. Sind endlich beiderlei Körpermassen einander so ziemlich gewachsen und geraten so mit einander in Kampf, so findet der Auflösungsprozeß nicht eher sein Ziel als bis entweder die eine, von der anderen gänzlich ausgestoßen und in ihre einzelnen Körperchen zersetzt, zu der Gattung, welcher sie angehört, sich zurückflüchtet, oder aber doch endlich ganz überwältigt und in ihre letzten Grundbestandteile aufgelöst, aus denselben sich wieder zu einer einzigen gemeinsamen Masse mit ihrer Siegerin zusammensetzt und so mit ihr verbunden bleibt. Und in Folge dieser Vorgänge verändern denn auch alle diese Gattungen ihren Ort, denn die Massen einer jeden empfangen ihren eigenen Raum, gesondert von denen aller anderen, durch die Bewegung der Aufnehmerin, und so wird denn auch jedesmal die von ihnen, welche ihre eigene frühere Beschaffenheit aufgibt und die einer andern Gattung annimmt, durch die Erschütterung an den Ort dieser letzteren hingetrieben.
Solches sind denn die Ursprünge, aus denen die einfachsten Grundkörper hervorgegangen sind, daß sich aber in diesen Gattungen besondere Arten gebildet haben, davon hat man die Art der Zusammensetzung von beiderlei Urbestandteilen als Ursache anzusehen, indem nämlich aus derselben in beiden Fällen von vorne herein nicht bloß Dreiecke von derselben Größe, sondern teils kleinere und teils größere, und zwar von so viel verschiedenen Größen hervorgingen, als es in jeder Gattung Arten gibt. Und so haben denn auch diese letzteren noch ferner durch ihre Mischung mit einander und mit denen der anderen Gattungen eine unzählige Mannigfaltigkeit von Körpern hervorgebracht, welche selbstverständlich von denen in Betracht gezogen werden muß, die von der Natur eine wahrscheinliche Darstellung geben wollen.
Zuvor jedoch müssen wir uns darüber verständigen, auf welche Weise und wodurch Bewegung und Ruhe erfolgen, wenn nicht unserer ferneren Betrachtung gar Vieles störend in den Weg treten soll. Einiges ist darüber freilich schon bemerkt worden, aber es bleibt noch hinzuzufügen, daß Einfachheit und Einerleiheit keine Bewegung zuläßt. Denn ein zu Bewegendes kann es schwerlich oder vielmehr unmöglich ohne ein zu bewegen Fähiges, und das Letztere nicht ohne das Erstere, und ohne beide wieder gar keine Bewegung geben, und daß diese beiden einander jemals gleich wären, ist undenkbar. Demgemäß führen wir denn stets Ruhe auf die Gleichförmigkeit, Bewegung aber auf die Mannigfaltigkeit zurück. [58 St.] Ursache der Mannigfaltigkeit ist aber die Ungleichheit. Den Ursprung der Ungleichheit nun haben wir bereits durchgegangen, dagegen wie es geschieht, daß die einzelnen Körper trotz ihrer Sonderung je nach den vier Gattungen dennoch von der Bewegung und dem Hindurchdringen durch einander nicht ablassen, das haben wir noch nicht gesagt. Und so treffen wir nunmehr hierüber folgende Bestimmung. Da der Umlauf des Alls diese Gattungen in sich faßt, so drängt er, eben weil er kreisförmig ist und seiner Natur nach mit sich selber zusammenzugehen strebt, sie alle dergestalt in sich zusammen, daß er keinen leeren Raum übrig läßt. Deshalb ist denn auch das Feuer am meisten in Alles hineingedrungen, zum Zweiten aber die Luft, weil sie an Dünnheit den zweiten Rang einnimmt, und so folgen die beiden übrigen nach demselben Verhältnis. Denn die aus den größten Teilen entstandenen Gattungen haben auch die größte Leere bei dem Zusammentreten derselben übrig gelassen, die kleinsten dagegen die geringste, und in Folge jenes Zusammendrängens werden nun die kleineren Körper in diese leeren Zwischenräume zwischen den größeren hineingetrieben. Indem aber so beide neben einander treten, so daß die kleineren die größeren auseinanderhalten und die größeren dagegen die kleineren zusammenhalten, werden alle auf und ab getrieben an die ihnen zukommenden Orte, denn mit Veränderung der Größe wechselt ein jedes auch seine örtliche Lage. So demnach und aus diesen Gründen bewirkt die stets fortdauernde Erzeugung der Ungleichheit unaufhörlich die immerwährende Bewegung, in welcher sich diese befinden und stets befinden werden.
Nunmehr aber muß gesagt werden, daß vom Feuer mancherlei Arten sich gebildet haben, so die Flamme und das von ihr Ausgehende, was nicht brennt, wohl aber Licht den Augen darbietet, und das, was nach dem Erlöschen der Flamme in den durchglühten Körpern an Feuerstoff als Wärme zurückbleibt. Eben so gibt es viele Arten der Luft, die reinste, welche mit dem Namen Äther, und die trübste, welche Nebel und Gewölk benannt wird, und noch andere, welche keinen besonderen Namen führen, alle entstanden durch die ungleiche Größe der Dreiecke.
Von Wasser aber gibt es zunächst eine zwiefache Art, die leichtflüssige und die schwerflüssige. Die erstere nun ist, weil sie alle diejenigen Arten von Feuchtigkeit unter sich faßt, deren Teile von geringerer und dabei ungleicher Größe sind, leicht beweglich, sowohl an und für sich selbst als auch durch andere Körper, eben wegen dieser Mannigfaltigkeit und der Eigentümlichkeit der Gestalt. Die letztere dagegen, aus großen und gleichen Teilen bestehend, ist unbeweglicher als jene, schwer und starr in Folge dieser Gleichförmigkeit, wird aber, wenn sie durch eindringendes Feuer aufgelöst und in Folge dessen derselben beraubt wird, mehr der Bewegung fähig, und wenn dies in hohem Grade der Fall geworden ist, so läßt sie sich von der umgebenden Luft forttreiben und breitet sich so über die Erde aus, und man sagt dann ‚sie schmilzt’ oder ‚wird geschmolzen’, um dadurch die Auflösung ihrer Massen, und ‚sie ist flüssig’, um dadurch ihre Ausbreitung über die Erde zu bezeichnen und so durch diese beiden Ausdrücke die doppelte mit ihr vorgegangene Veränderung kund zu geben. [59 St.] Verläßt das Feuer aber einen solchen Körper wieder, so drückt es, weil es eben nicht in einen leeren Raum fortgeht, auf die umgebende Luft, so daß diese in Folge dessen wieder auf die noch sehr bewegliche feuchte Masse drückt und so dieselbe in sich selber zusammendrängt, so daß von ihr selbst die Zwischenräume ausgefüllt werden, in denen das Feuer seinen Sitz hatte, und die zusammengedrängte Masse erlangt dadurch ihre Gleichmäßigkeit wieder, da der Urheber der Ungleichmäßigkeit, das Feuer, sich entfernt hat, und kehrt so ganz in seinen früheren Zustand zurück. Und diese Entfernung des Feuers nennt man Abkühlung, die Verdichtung aber, welche ihre Folge ist, ein Starrwerden der Masse. Von allen diesen Körpern nun, welche wir schwerflüssig genannt haben, ist der aus den feinsten und gleichmäßigsten Teilen entstehende, dichteste, in seiner Art einzige, von glänzend gelber Farbe, das köstlichste Besitztum, das Gold, erstarrt, indem es sich durch Stein hindurchseihete. Ein Sprößling des Goldes aber, wegen seiner Dichtigkeit sehr hart und geschwärzt, wurde Adamas genannt. Als eine zweite Art glänzender starr gewordener Flüssigkeit, welche aus beinahe eben so kleinen Teilen besteht, aber deren mehr als eine Art enthält, an Dichtigkeit selbst noch das Gold übertrifft und einen Beisatz von einem geringen Teilchen Erde hat, so daß es demzufolge härter, aber wegen der großen Zwischenräume, die es in sich hat, leichter ist, bildete sich ferner das Erz. Was ihm aber von Erde beigemischt ist, daß scheidet sich von ihm, wenn beide alt geworden sind, und tritt für sich heraus und heißt dann Rost. Was sonst noch zu dieser Art gehört, das, der wahrscheinlichen Darstellung folgend, aufzuzählen, ist weiter keine Kunst, und wenn man einmal zum Zwecke der Erholung die Untersuchungen über das ewig Seiende zur Seite legt und auf die über das Werden, welche nur Wahrscheinlichkeit gewähren, sein Augenmerk richtet und sich so einen Genuß, dem keine Reue folgt, bereitet, so hat man damit für sein Leben eine unterhaltende Beschäftigung gewonnen, wie sie angemessen und verständig ist. Ihr wollen wir daher auch jetzt uns hingeben und über den vorliegenden Gegenstand auch noch das Fernere der Reihe nach, nach Maßgabe der Wahrscheinlichkeit in folgender Weise durchgehen. Alles mit Feuer vermischte Wasser, welches dünn und leichtflüssig ist, wird wegen dieser seiner Bewegung und seines Laufes, in welchem es über die Erde dahinrollt, als leichtflüssig bezeichnet, ferner ist es auch weich, weil seine Grundflächen minder fest als die der Erde und daher nachgiebig sind. Sobald nun dies, von Feuer und Luft geschieden, für sich allein besteht, dann wird es gleichmäßiger und wird von jenen von ihm ausgeschiedenen Substanzen in sich selber zusammengedrängt, und so erstarrt, wird das, was über der Erde am meisten diese Veränderung erleidet, Hagel, das auf ihr aber Eis, von dem weniger und erst halb Erstarrten dagegen das über der Erde Schnee, das auf ihr starr Gewordene, aus Tau Entstandene aber Reif genannt. Die meisten Arten von Feuchtigkeit aber unter einander gemischt und so zu einer Gesamtart verbunden, [60 St.] sind die durch die aus der Erde hervorwachsenden Pflanzen hindurchgeseiheten Säfte, und da ein jeder derselben durch die Mischungen eine andere Beschaffenheit erhielt, so bildeten sie eine große Zahl von besonderen Arten, größtenteils ohne besondere Namen, diejenigen vier derselben aber, welche Feuer enthalten und daher ganz besonders glänzend sind haben deren folgende erhalten. Die eine, welche die Seele zu gleich mit dem Körper durchwärmt, ist der Wein, die andere, welche glatt ist und den Sehstrahl ausdehnt, und demgemäß auch glänzend, blank und schimmernd anzuschauen ist, die ölige Art, Harz, Rizinus- und das Olivenöl selber und was sonst noch die gleiche Beschaffenheit hat. Von derjenigen sodann, welche ihre auslösende Kraft auf die für den Gaumen zubereiteten Mischungen erstreckt, und dadurch demselben einen süßen und angenehmen Geschmack bereitet, empfing die Hauptart den Namen Honig. Endlich diejenige Art, welche das Fleisch auflöst und, wenn es in Brand gerät, schaumartig ist, ward zum Unterschiede von allen anderen Säften Opos genannt.
Was aber die Arten der Erde anlangt, so bildet der eine Teil derselben, nämlich der, welcher durch Wasser hindurchgeseihet wird, sich auf folgende Weise zu einem steinernen Körper. Das beigemischte Wasser geht, wenn es innerhalb dieser Mischung zersetzt wird, in die Gestalt der Luft über, und die so entstandene Luft steigt auf zu der ihr angehörigen Region. Es umgibt sie aber nichts Leeres, und sie drückt daher auf die benachbarte Luft. Diese nun, wegen ihrer Schwere, wird dadurch auf die Erdmasse getrieben und um sie herum gegossen, drückt mithin dieselbe in hohem Grade und drängt sie die leeren Räume wieder auszufüllen, welche dadurch entstanden sind, daß die neugebildete Luft sie verlassen hat. Erde aber, von Luft so zusammengedrängt, daß sie durch Wasser nicht auflösbar ist, wird dadurch zur Steinmasse, und zwar ist die schönere die durchsichtige, welche aus gleichen und ähnlichen Teilen besteht, die häßlichere aber die von entgegengesetzter Beschaffenheit. Aus dem anderen Teile aber, welcher durch die Gewalt des Feuers seiner feuchten Bestandteile beraubt wird, entsteht, wenn dies vollständig geschieht und er so noch trockener in seiner Zusammensetzung wird als der Stein, die Gattung, welche wir mit dem Namen Ton belegt haben, doch kommt es auch vor, daß die Erde, ohne alle ihre Feuchtigkeit zu verlieren, von Feuer zerschmolzen wird, und dann bildet sich, so bald sie sich wieder abgekühlt hat, eine steinartige Masse von schwarzer Farbe, und wenn sie auf dieselbe Weise eines großen Teiles von dem ihr beigemischten Wasser entledigt wird, aber die Erdteile feiner und von salzig bitterem Geschmacke sind, so entsteht aus ihr, so bald sie halb starr und von neuem durch Wasser auflösbar geworden ist, einmal das Natron, wohlgeeignet zur Reinigung von Öl- und Staubflecken, und sodann das Salz, fast allen Verbindungen unentbehrlich, welche erfunden sind, um dem Geschmackssinn zu schmeicheln, und nach dem Ausspruche des Gesetzes ein von der Gottheit geliebter Körper. Was dagegen die aus Erde und Wasser gebildeten Körper anbetrifft, welche nicht durch Wasser, sondern nur durch Feuer ausgelöst werden können, so erhalten sie diese ihre Festigkeit auf folgende Weise. Feuer und Luft bringen die Massen der Erde nicht zum Schmelzen, denn da ihre Teile kleiner sind als die leeren Zwischenräume in der Zusammensetzung der Erde, so gelangen sie durch diese vielen und weiten Gänge ohne allen Kampf hindurch, und so lassen sie die Erde unaufgelöst und ungeschmolzen, die Teile des Wassers dagegen bahnen sich, weil sie größer sind, mit Gewalt einen Durchgang und bringen sie durch Auflösung zum Schmelzen. Wenn also die Erde nicht gewaltsam zusammengedrängt ist, [61 St.] so löst auf diese Weise nur das Wasser, ist sie es aber, so Nichts als das Feuer sie auf, denn so bleibt einzig dem letzteren der Zugang übrig. Aber auch von den Verbindungen des Wassers ist die gewaltsam verdichtete allein durch Feuer, die minder dichte aber durch Beides, Feuer und Luft, zersetzbar, durch diese in den leeren Zwischenräumen, durch jenes aber auch in den Dreiecken. Gewaltsam zusammengedrängte Luft aber kann gar nicht mehr anders als in ihre Urbestandteile aufgelöst, nicht zusammengedrängte allein durch Feuer geschmolzen werden. Demgemäß finden denn bei den aus Erde und Wasser gemischten Körpern, so lange das Wasser in ihnen nach jener gewaltsamen Zusammenpressung die leeren Zwischenräume der Erde inne hat, die von außen andringenden Wasserteile keinen Eingang und fließen daher vielmehr um die ganze Masse herum und lassen sie ungeschmolzen, die Feuerteile hingegen dringen in die leeren Zwischenräume des Wassers ein und haben so, weil das Feuer auf die Luft eben dieselbe Einwirkung ausübt wie das Wasser auf die Erde, allein die Fähigkeit, einen solchen gemischten Körper zu schmelzen und in einen flüssigen Zustand zu versetzen. Es sind das aber teils solche, die weniger Wasser als Erde enthalten, so die ganze zum Glase gehörige Gattung und die sogenannten brennbaren Steinarten, teils solche, die mehr Wasser enthalten, nämlich alle wachsartigen und Wohlgerüche verbreitenden Körper.
Und damit dürften denn die Gestaltungen, Verbindungen und Umwandlungen in einander, in welche die Gattungen eingehen, und die Mannigfaltigkeit ihrer daraus entspringenden Arten so ziemlich dargelegt sein, und wir müssen nunmehr zu entwickeln versuchen, aus welchen Ursachen die Eindrücke, welche sie auf uns ausüben, hervorgehen. Vor allen Dingen nun steht fest, daß alle in Rede stehenden Körper die Fähigkeit haben wahrgenommen und empfunden zu werden, sodann aber haben wir noch nicht dargelegt, wie das Fleisch und Alles, was zum Fleische gehört, und wie der sterbliche Teil der Seele entstanden ist, denn es kann dies weder gesondert von den Sinneseindrücken, soweit sie wirklich empfunden werden, noch diese ohne jenes befriedigend behandelt werden, und doch ist Beides zugleich zu behandeln beinahe unmöglich. Wir müssen daher zunächst das Eine von Beiden voraussetzen, und nachher auf dies Vorausgesetzte wieder zurückkommen, und damit nun die Darstellung der Eindrücke sich unmittelbar an die der Gattungen anschließe, so wählen wir hierzu das Körper und Seele Anlangende.
Nehmen wir also zuerst in Betracht, in wie fern wir das Feuer warm nennen, und zwar in der Weise, daß wir die Zersetzung und Zerschneidung, welche durch dasselbe in unserem Körper vor sich geht, in Erwägung ziehen. Denn daß dieser Eindruck ein scharfer ist, empfinden wir wohl Alle. Wir müssen aber in Anbetracht der feinen Kanten, der spitzigen Ecken, der kleinen Teile und der schnellen Bewegung, zufolge alles dessen es mit Unwiderstehlichkeit und zersetzender Schärfe stets Alles, [62 St.] was ihm in den Weg kommt, zerschneidet, und eingedenk der Entstehung seiner Gestalt urteilen, daß vor Allem diese und keine andere Wesenheit eben dadurch, daß sie unsern Körper auflöst und in kleine Teile zerstückelt, aller Wahrscheinlichkeit nach diesen Eindruck, welchen wir jetzt mit dem Worte ‚warm’ bezeichnen, so wie dies seine Bezeichnung hervorgebracht hat.
Das Gegenteil hiervon ist zwar klar, gleichwohl aber soll es einer Erläuterung nicht entbehren. Wenn nämlich die aus größeren Teilen bestehenden von den Feuchtigkeiten, welche unseren Körper umgeben, in denselben eintreten und die kleiner geteilten hinauszutreiben suchen, so drängen sie, da sie in die Sitze derselben nicht einzudringen vermögen, diese in uns befindlichen flüssigen Teile zusammen und bewirken so, daß sie aus ihrer Ungleichmäßigkeit und Beweglichkeit durch den auf sie ausgeübten Druck in eine gleichförmige Masse zusammengehen und dadurch unbeweglich werden und erstarren. Das widernatürlich Zusammengetriebene aber kämpft naturgemäß dagegen an, indem es sich seinerseits wieder auf seinen Gegner drängt. Diesem Kampfe nun und dieser Erschütterung wurde der Name Zittern und Frost beigelegt, und dieser ganze Eindruck und das ihn Verursachende empfing den der Kälte und des Kalten.
Hart ferner wurde Alles genannt, welchem unser Fleisch, weich dagegen Alles, was unserem Fleische nachgibt und was sich eben so auch gegen einander verhält. Nachgibt aber Alles, was auf kleiner Grundfläche steht, wogegen die Gattung, welche aus viereckigen Grundflächen besteht, weil sie eine starke Unterlage hat, am meisten Widerstand leistet, und eben so Alles, was zur größten Dichtigkeit verbunden ist, auch die größte Kraft zum Widerstreben besitzt.
Schwer und leicht sodann wird sich am deutlichsten erklären lassen, wenn man es im Zusammenhang mit dem, was oben und unten heißt, untersucht. Es ist nämlich ganz falsch, wenn man glaubt, daß es von Natur zwei entgegengesetzte Orte gebe, welche das All in zwei Teile zerlegten, der eine unten, nach welchem Alles, was eine Körpermasse hat, hingetrieben werde, und der andere oben, nach welchem sich Alles nur gewaltsam hinbewegen lasse. Denn da das ganze Weltgebäude kugelgestaltig ist, so muß Alles, was in gleichem Abstand von der Mitte die äußersten Punkte bildet, dieselben seiner Natur nach in der gleichen Weise bilden, und man muß vielmehr die Mitte, da sie nach eben denselben Maßen von diesen äußersten Punkten absteht, als ihnen allen gegenüberstehend betrachten. Und da nun die Welt so beschaffen ist, welches von dem eben Genannten dürfte man wohl nach oben oder nach unten versetzen, ohne sich dabei den gerechten Vorwurf einer unpassenden Bezeichnung zuzuziehen? Denn den mittleren Ort in ihr ist man weder als unten noch als oben, sondern eben nur als in der Mitte befindlich zu bezeichnen berechtigt, der im Umkreis liegende aber ist weder ein mittlerer, noch auch hat er irgend einen von einem anderen abweichenden Teil in sich, der mehr nach der Mitte zu läge als irgend einer von seinen auf der entgegengesetzten Seite befindlichen Punkten. Was sich aber auf allen Seiten gleichmäßig verhält, wie dürfte da Jemand sich berechtigt glauben, dem entgegengesetzte Benennungen, von welcher Art sie auch sein mögen, beizulegen? Denn auch wenn es einen festen Körper gibt, [63 St.] welcher in der Mitte des Alls im Gleichgewicht schwebt, so wird dieser doch eben niemals nach einem der äußersten Punkte hingetrieben werden wegen des durchweg gleichmäßigen Verhaltens von ihnen allen, und auch wenn Jemand im Kreise sich um denselben herumbewegte, so würde er oft, wenn er an entgegengesetzten Punkten desselben stehen bliebe, denselbigen Teil diese Körpers unten und oben nennen. Kurz, wie eben bereits gesagt, von dem Ganzen, das kugelförmig ist, zu behaupten, daß es einen unteren und einen oberen Teil habe, ziemt keinem Verständigen. Woher es aber kommt, daß wir von einem Oben und Unten sprechen, und worin dieser Gegensatz seine Stelle hat, so daß wir nach ihm auch das ganze Weltgebäude einzuteilen und zu bezeichnen gewohnt sind, darüber müssen wir uns jetzt, indem wir folgende Voraussetzung dabei zu Grunde legen, verständigen. Wenn Jemand in dem Raume des Alls, in welchem vor Allem das Feuer seinen natürlichen Ort hat, und wo auch am meisten dasjenige aufgehäuft ist, nach welchem es hingetrieben wird, auf das Feuer hinaufträte und die nötige Kraft zu diesem seinem Vorhaben empfinge, und nun so Teile des Feuers wegnähme und sie auf Waagschalen legte, um sie zu wägen, so wird ja offenbar, indem er die Waage in die Höhe hebt und so das Feuer mit Gewalt in die ihr unähnliche Luft hinaufzieht, die kleinere Masse leichter als die größere sich ihm dabei fügen, denn von zwei durch Eine Kraftäußerung zugleich in die Höhe gehobenen Gegenständen erfährt doch wohl notwendig der kleinere dadurch eine stärkere, der größere eine geringere Anspannung, und jener wird daher mehr, dieser aber weniger der Gewalt nachgeben, und der letztere schwer und nach unten sinkend, der erstere aber leicht und nach oben steigend genannt werden. Beobachten wir nun nur, daß wir eben dasselbe auch in diesem unserem Wohnorte tun. Denn oben auf der Erde stehend, bringen wir vielfach erdartige Gegenstände, indem wir sie von einander sondern, und zuweilen auch Erde selbst, mit Gewalt und wider ihre Natur in die ihr unähnliche Luft hinein, indem beides vielmehr an der verwandten Substanz festhält, und die kleinere Masse, leichter als die größere, gibt dabei eher unserer Gewalt nach, die sie zu dem ihr Unähnlichen hinzieht. Diese nennen wir daher leicht, und den Ort, an welchem wir sie zwangen, oben, mit dem entgegengesetzten Eindruck aber verbinden wir die Namen schwer und unten. Diese Eindrücke und Zustände verhalten sich nun aber notwendig in sich selber entgegengesetzt, weil die Hauptmassen der vier Elemente einander entgegengesetzte Orte haben, was daher an dem einen Orte leicht ist, wird man dem Leichten am entgegengesetzten Orte, und eben so das Schwere dem Schweren und das Unten dem Unten und das Oben dem Oben alles teils entgegengesetzt, teils schräg gegeneinander stehend und so in allen Stücken von einander abweichend finden, sei es, daß es schon in dieser wechselseitigen Lage ist, oder erst in dieselbe gerät. Doch ist wenigstens dieses Eine in Bezug auf alles Jenes zu bemerken, daß die Richtung nach dem Verwandten zu, welche einem jeglichen Körper innewohnt, das dorthin Getriebene schwer und den Ort, nach welchem dasselbe hingetrieben wird, zum Unten macht und das entgegengesetzte Verhalten auch die entgegengesetzte Wirkung hervorbringt. Und so mag denn hiermit die Ursache auch dieser Eindrücke angegeben sein.
Worin dann ferner der Eindruck des Glatten und Rauhen seinen Grund hat, dürfte wohl Jedermann zu erkennen und einem Andern mitzuteilen im Stande sein: [64 St.] Härte mit Ungleichmäßgikeit verbunden bringt diesen, Gleichmäßigkeit mit Dichtigkeit jenen hervor.
Wir haben aber von dem noch übrigen, und dem bedeutendsten unter den gemeinsamen Eindrücken des ganzen Körpers, nämlich davon, wann mit den bisher erörterten Empfindungen sich die des Angenehmen und Unangenehmen verbindet, die Ursache anzugeben und über alles Dasjenige zu sprechen, was in den Teilen des Körpers Empfindbarkeit erlangt und in ihnen Schmerz und Lust zum Gefolge hat. Und wir wollen demgemäß so die Ursachen von jedem empfindbaren und nicht empfindbaren Eindrucke zu erfassen suchen, indem wir uns die Art, wie wir im Vorigen das Bewegliche und das Träge unterschieden, ins Gedächtnis zurückrufen, denn auf diesem Wege muß Alles, was wir zu finden beabsichtigen, aufgesucht werden. Das seiner Natur nach Leichtbewegliche nämlich trägt, wenn es auch nur einen geringen Anstoß empfangen hat, denselben ringsum von dem einen seiner Teile zum andern mit gleicher Wirkung über, bis die letztere zum vernünftigen Teile vorgedrungen ist und so diesem die Einwirkung des Gegenstandes, welcher den Anstoß hervorgebracht hat, zum Bewußtsein bringt; das Entgegengesetzte aber, welches sich träge verhält und nicht im Kreise bewegt, empfängt bloß einen Anstoß ohne Anderes, Benachbartes zu bewegen, so daß jener erste Eindruck, da ihn die Teile nicht auf einander übertragen, sich nicht in ihnen durch das ganze lebendige Wesen hindurchbewegt und so dasselbe unempfindlich läßt gegen diesen Anstoß, den es erfahren hat. Dies gilt nun von den Knochen, Haaren, und von allen anderen zumeist erdigen Teilen, welche wir an uns tragen, das Erstere dagegen vorzugsweise vom Gesicht und Gehör, weil in ihnen Feuer und Luft am meisten ihren Wirkungskreis haben. Lust und Schmerz nun aber sind dabei folgendermaßen zu erklären. Ein wider unsere Natur und in gewaltsamer Weise auf uns ausgeübter starker und plötzlich entstehender Eindruck ist schmerzlich, und derjenige, welcher, ebenfalls stark und plötzlich, unser naturgemäßes Befinden wiederherstellt, ist angenehm, derjenige aber, welcher nur allmählich vor sich geht und mit nur geringer Kraft ausgeübt wird, gelangt überhaupt nicht zur Empfindung. Alle Eindrücke ferner, welche mit Leichtigkeit ihren Fortgang nehmen, berühren zwar aufs Allerstärkste die Empfindung, an Schmerz und Lust aber sind sie ohne Anteil, wie namentlich die, welche der Sehstrahl selbst erfährt, von welchem wir im Vorhergehenden bemerkt haben, daß er ein bei Tage sich innig mit uns verbindender Körper sei. Denn ihm bereiten Schneiden und Brennen und alle anderen Eindrücke, welche er erleidet, keinen Schmerz, noch auch die Rückkehr in den voraufgehenden Zustand Lust, und doch treten bei ihm gerade die stärksten und deutlichsten Empfindungen und Wahrnehmungen ein, sowohl von den Eindrücken, welche er selber empfängt, als auch von denen, welche er seinerseits auf alle Gegenstände, mit denen er irgendwie in Berührung tritt, hervorbringt; denn weder bei seiner Ausdehnung noch bei seiner Zusammenziehung findet irgend welche Gewalt Statt. Aber die aus größeren Teilen bestehenden Körper, welche der Einwirkung nur schwer nachgeben und doch die Bewegungen durch das Ganze fortpflanzen, bringen Lust und Schmerz mit sich: Schmerz, wenn sie ihrem ursprünglichen Zustand entfremdet, Lust, [65 St.] wenn sie wieder in denselben zurückgebracht werden. Die Körper ferner, deren Aussonderungen und Entleerungen allmählich, und deren Anfüllungen dagegen auf einmal und in Massen vor sich gehen, sind unempfindlich gegen die ersteren und empfindlich gegen die letzteren und bereiten dem sterblichen Teile der Seele keinen Schmerz, wohl aber die größte Lust, und es zeigt sich dies bei den Wohlgerüchen. Alle diejenigen dagegen, welche schnell und massenweise ihrem ursprünglichen Zustand entfremdet werden und sich nur allmählich und mit Mühe wieder in denselben zurückversetzen lassen, bringen die gerade entgegengesetzten Erscheinungen zu Wege, und dies wiederum wird dabei ersichtlich, wenn der Körper gebrannt und geschnitten wird.
Und nun sind die dem ganzen Körper gemeinsamen Eindrücke und die Benennungen, welche allen Gegenständen, durch welche sie bewirkt werden, erteilt worden sind, so ziemlich dargelegt worden, und wir müssen daher nun, so weit wir es vermögen, auch hinsichtlich der Vorkommnisse an besonderen Teilen von uns sowohl die Eindrücke als auch wiederum die Ursachen, weshalb bestimmte Gegenstände sie bewirken, zu beleuchten versuchen. Zuerst also müssen wir alle die zuvor, als wir von den Säften sprachen, von uns übergangenen besonderen Eindrücke der Zunge nach Kräften klar machen. Offenbar nun entstehen auch diese, wie ja auch die meisten anderen, durch gewisse Zusammenziehungen und Ausdehnungen, außerdem aber hängen sie dabei mehr als die anderen von Rauhheit und Glätte ab. Alles nämlich aus erdigen Teilen Bestehende, was in der Umgebung der, gleichsam wie Fühlfäden der Zunge nach dem Herzen ausgespannten Aderchen, auf die feuchten und zarten Teile des Fleisches gerät und so nach der Zerschmelzung seiner eigenen Bestandteile jene Aderchen zusammenzieht und austrocknet, gibt, je nachdem die ersteren mehr oder weniger rauh sind, einen mehr oder minder herben Geschmack. Dasjenige aber, welches auch diese abreibt und überhaupt alles der Zunge Anklebende wegwäscht, wird, wenn es dies in übermäßigem Grade tut und sie selber mit angreift, so daß es ihr einen Teil ihrer Masse wegfrißt, wie dies die Eigenschaft der Laugensalze ist, Alles insgesamt bitter genannt; wenn es aber diese laugenartige Beschaffenheit nicht erreicht und die abreibende Kraft nur in gemäßigtem Grade äußert, so erscheint es uns salzig, ohne rauhe Bitterkeit und mehr unserer Natur verwandt. Dasjenige ferner, welches die Wärme des Mundes in sich aufnimmt und von ihr erweicht wird und dabei, nachdem es warm geworden ist, seinerseits wiederum Dasjenige erhitzt, von welchem es diese Wärme empfangen hat, und durch seine Leichtigkeit auch zu den Organen des Kopfes aufsteigt und Alles zersetzt, [66 St.] worauf es trifft, solches Alles wird um dieser seine Wirkungen willen scharf genannt. Wenn aber diese nämlichen Substanzen zuvor durch Fäulnis verdünnt sind und so in die engen Adern eindringen und mit den in ihnen befindlichen Erd- und Luftteilen, so weit auch die letzteren im richtigen Verhältnis zu der Masse der ersteren vorhanden sind, in Verbindung treten, so bewirken sie durch diese ihre Bewegung, daß Alles in einen Wirbel um einander gerät, in Folge dessen aber auch sich in einander verwickelt und in fremde Bestandteile eindringend dieselben aushöhlt, indem sie sich um die eindringenden herum ausdehnen, wodurch sie denn, indem sie demgemäß aus hohler Feuchtigkeit, teils erdiger und teils auch reiner, bestehen, welche um Luft herum ausgedehnt ist, zu feuchten Luftbehältern oder, mit andern Worten, zu hohlen und runden Wassertropfen werden, und zwar so, daß die aus reiner Feuchtigkeit eine durchsichtige Umgebung bilden, welche den Namen Blasen führt, während man von denen aus erdiger, welche sich zugleich in aufsteigender Bewegung befindet, sagt, daß sie sieden und in der Gärung begriffen sind, und die Ursache dieser Eindrücke ist das, was wir mit dem Namen des Sauren belegen. Der allen bisher auf diesem Gebiete genannten entgegengesetzte Eindruck aber geht auch von einer ganz entgegengesetzten Veranlassung aus, so oft die eingehende Masse in den Feuchtigkeiten eine mit der der Zunge verwandte Beschaffenheit annimmt und sowohl die rauh gewordenen Teile durch einen Überzug abglättet, als auch die widernatürlich zusammengezogenen auflockert und die widernatürlich ausgedehnten wieder zusammenzieht und Alles möglichst in seinen naturgemäßen Zustand zurückversetzt, wird alles Derartige, welches sich zu einem Jedermann angenehmen und erwünschten Heilmittel gegen gewaltsame Eindrücke gestaltet, als süß bezeichnet.
Und das hierher Gehörige wäre nun dies. Was aber die Tätigkeiten der Geruchswerkzeuge anbetrifft, so gibt es von ihnen keine Arten. Denn alle Gerüche sind etwas Zwitterhaftes und keinem von den sogenannten Elementen ist ein inneres Verhältnis zu irgend einem Geruch zu Teil geworden, sondern unsere zur Geruchsbildung bestimmten Adern sind für die Arten der Erde und des Wassers zu eng, für die des Feuers und der Luft aber zu weit gebildet. Daher hat an ihnen Niemand jemals einen Geruch wahrgenommen, sondern es entsteht ein solcher immer nur dann, wenn Etwas feucht wird oder verfault oder schmilzt oder in Rauch aufgeht. Nämlich in dem Zwischenzustande beim Übergang des Wassers in Luft und der Luft in Wasser werden sie hervorgebracht, denn alle Gerüche lassen sich auf Rauch und auf Nebel zurückführen, Nebel aber bezeichnet den Übergang aus Luft in Wasser, Rauch dagegen den aus Wasser in Luft, und demzufolge ist Alles, was Geruch an sich trägt, feiner als Wasser, aber dicker als Luft. Das wird offenbar, sobald Jemand nach Verstopfung der Atmungswerkzeuge mit Gewalt Atem holt, denn dann wird kein Geruch mit durchgelassen, sondern der Atem, frei von allen Gerüchen, folgt allein. [67 St.] Deswegen also haben die Verschiedenheiten derselben keine besonderen Namen, da sie nicht aus vielen und einfachen Arten hervorgehen, sondern man macht hier nur den zweigliedrigen Unterschied des Angenehmen und des Unangenehmen, weil dieser allein deutlich an ihnen hervortritt. Unangenehm nämlich sind diejenigen Gerüche, welche auf die ganze Höhlung, die in unserem Körper zwischen Kopf und Nabel liegt, einen rauhen und gewaltsamen Eindruck machen, angenehm diejenigen, welche auf eben dieselbe beruhigend wirken und sie auf eine erwünschte Weise wieder in ihren natürlichen Zustand zurückführen.
Als dritten mit Empfindung begabten Teil in uns müssen wir das Gehör in Betracht ziehen und angeben, aus welchen Ursachen die Eindrücke desselben hervorgehen. Im Allgemeinen nun stellen wir fest, daß Ton die von der Luft ausgehende Erschütterung, welche sich von den Ohren durch das Gehirn und das Blut bis zur Seele fortsetzt, und daß die von ihr erregte Bewegung, welche vom Kopfe beginnt und um den Sitz der Leber herum endigt, Gehör sei. So weit diese nun schnell vor sich geht, erzeugt sie einen hohen, so weit langsamer, einen tieferen Ton, die gleichmäßige einen gleichförmigen und glatten oder sanften, die entgegengesetzte einen rauhen, die heftige einen starken, jede entgegengesetzte aber einen schwachen. Über die Harmonie derselben aber ist in den später nachfolgenden Erörterungen zu reden.
Noch ist uns eine vierte Art der Empfindung durchzugehen übrig, welche zahlreiche Verschiedenheiten enthält, die wir insgesamt Farben genannt haben und welche aus der Flamme bestehen, die von den einzelnen Körpern ausstrahlt und deren verschiedene Teile in einem entsprechenden Verhältnisse zu dem Gesicht stehen und daher von ihm wahrgenommen werden. Vom Gesichte nun sind die Ursachen seiner Entstehung im Vorhergehenden kurz angegeben worden, hinsichtlich der Farben aber dürfte dies die wahrscheinlichste und einem Vernünftigen am meisten geziemende Erklärung sein, daß die von anderen Körpern ausgehenden und in das Gesicht fallenden Teilchen teils kleiner, teils größer, teils endlich eben so groß als die Teile des Sehstrahls sind. Die zuletztgenannten nun werden nicht wahrgenommen, weshalb wir sie auch durchsichtig nennen, die größeren und kleineren aber, von denen jene ihn zusammenziehen, diese ihn erweitern, sind für ihn beinahe dasselbe, was warme und kalte Substanzen für das Fleisch und was für die Zunge alle herben und erhitzenden Speisen und Getränke, welche letzteren wir scharf genannt haben, sind, so daß das Weiße und Schwarze dieselben Eindrücke, wie die von jenen Substanzen hervorgebrachten, aber in einem anderen Gebiete, sind und aus diesem letzteren Grunde uns auch andere Eindrücke zu sein scheinen. Daher muß man sie auch hiernach bestimmen. Was den Sehstrahl ausdehnt ist weiß, das Gegenteil davon schwarz. Wenn aber das Feuer eines anderen Körpers mit einer heftigeren Bewegung auf den Sehstrahl trifft und ihn bis zu den Augen selbst hin ausdehnt, so daß es die Durchgänge der Augen selbst gewaltsam auftreibt und zerschmelzt und so bewirkt, [68 St.] daß jene Verbindung von Feuer und Wasser aus ihnen herausfließt, welche wir Tränen nennen, und welche nichts Anderes ist als die Gestalt, in welcher eben hiedurch das von entgegengesetzter Richtung jenem anderen entgegenkommende Feuer auftritt, so entstehen, indem die eine dieser Feuersubstanzen blitzartig herausspringt und die andere hineindringt und in den Feuchtigkeiten erlischt, in dieser Vermischung von ihnen mannigfaltige Farben, und wir nennen dann diesen Eindruck Schimmern und Dasjenige, was ihn bewirkt, glänzend und strahlend. Wenn aber das Feuer innerhalb dieser Verbindung zwar in die Feuchtigkeit der Augen eindringt und sich mit ihr vermischt, aber dabei nicht glänzt, sondern vermöge der Hindurchmischung des Feuerglanzes durch die Feuchtigkeit eine Blutfarbe annimmt, so gebrauchen wir hievon den Namen rot. Glänzendes, mit Rot und Weiß gemischt, gibt Gelb, wie viel aber das Maß für jedes Einzelne in dieser Mischung betrage, das zu sagen hätte, auch wenn man es wüßte, keinen Sinn, da man hievon weder die Notwendigkeit, noch die Wahrscheinlichkeit auch nur annähernd anzugeben im Stande sein würde. Rot ferner, mit Schwarz und Weiß verbunden, wird meerpurpurn, dunkelpurpurn aber, wenn diese Mischung gebrannt und zu ihr noch mehr Schwarz hinzugetan wird. Das Braun entsteht aus der Mischung von Gelb und Grau, das Grau aus der von Weiß und Schwarz, das Blaßgelb aus der von Weiß mit Gelb. Wenn ferner Weiß zu Glänzend hinzukommt und dann auf gesättigtes Schwarz fällt, so wird die blaue Farbe hervorgebracht, und wenn Blau mit Weiß verbunden wird, die hellblaue, wird aber Schwarz mit Braun vermischt, die Lauchgrüne. Und hieraus ist denn auch schon hinlänglich klar, wie man, an der Wahrscheinlichkeit festhaltend, aus ähnlichen Mischungen auch die anderen Farben entstehen lassen muß. Aber wenn jemand dies auf dem Wege des praktischen Versuches erproben wollte, so würde er damit den Unterschied der menschlichen und göttlichen Natur verkannt haben, sofern ein Gott zwar wohl das Viele in Eins zu verbinden und das Eine wieder in Vieles aufzulösen hinlängliche Einsicht und zugleich Macht besitzt, von den Menschen aber keiner weder das Eine noch das Andere ins Werk zu setzen weder jetzt im Stande ist noch auch hinfort jemals dazu im Stande sein wird.
Alles dies nun fand damals in dieser von der Notwendigkeit ausgegangenen Beschaffenheit der Werkmeister des Schönsten und Besten in dem Werdenden vor, als er den sich selbst genügenden und vollendetsten Gott erzeugte, indem er dabei zwar die hierin liegenden Ursachen zu Hilfe nahm, aber doch so, daß die Vollendung, zu welcher alles Werdende gedieh, dabei ganz sein eigenes Werk war. Deshalb muß man denn auch zwei Arten von Ursachen unterscheiden, die notwendige und die göttliche, [69 St.] und zwar die göttliche in allen Dingen aufsuchen zum Erwerbe eines glückseligen Lebens, so weit denselben unsere Natur verstattet, aber in Rücksicht auf jene auch die notwendige, indem man bedenkt, daß es ohne sie nicht möglich ist, jenen eigentlichen Gegenstand unseres Strebens rein für sich zu erkennen oder zu erfassen oder sonst irgendwie seiner teilhaftig zu werden.
Und da uns nun also jetzt, gleich wie Baumeistern, die Arten der Ursachen gleichsam als Material zugerichtet vorliegen, aus welchem der noch übrige Teil unserer Erörterung zusammengefügt werden muß, so wollen wir in der Kürze noch einmal zum Anfange zurückkehren und uns in der Geschwindigkeit zu demselben Punkte begeben, von welchem wir hierher gelangt sind, und dann versuchen, unserer Dichtung einen dem Vorhergehenden entsprechenden Schluß hinzuzufügen. Sie also schon im Anfange gesagt wurde, nachdem der Gott alle diese Dinge in einem ungeordneten Zustande vorgefunden, pflanzte er ihnen Ebenmaß in sich und unter einander ein, so weit und in solcher Weise, als es ihnen eben möglich war, in Verhältnismäßigkeit und Ebenmaß zu stehen. Denn damals hatte an demselben Nichts, es sei denn durch Zufall, irgend einen Anteil, noch verdiente überhaupt irgend Etwas, so wie jetzt, einen bestimmten Namen zu führen, wie Feuer und Wasser und was es sonst noch gibt, sondern alles Dieses ordnete er zuerst gehörig und sodann setzte er hieraus dieses All zusammen als ein einziges belebtes Wesen, welches die Gesamtheit aller lebendigen Wesen, der sterblichen wie der unsterblichen, in sich schließt. Und zwar wurde er vom Göttlichen selber der Bildner, die Entstehung des Sterblichen aber trug er seinen eigenen Erzeugten zu bewerkstelligen auf. Diese nun, in Nachahmung seiner, umwölbten die überkommene unsterbliche Grundlage der Seele rings herum mit einem sterblichen Körper, gaben ihr den ganzen Leib gleichsam zum Fahrzeug und legten in ihm noch eine andere Art von Seele, die sterbliche, an, welche gefährliche und der blinden Notwendigkeit folgende, Eindrücke aufnimmt, zunächst die Lust, die stärkste Lockspeise des Bösen, dann den Schmerz, den Verscheucher des Guten, fernerhin Mut und Furcht, zwei törichte Ratgeber, schwer zu besänftigenden Zorn und leicht verlockende Hoffnung, endlich verbanden sie mit ihr vernunftlose Empfindung und Wahrnehmung und allunternehmende Liebe, der Notwendigkeit gemäß, und so setzten sie das Geschlecht der Sterblichen zusammen. Demgemäß ferner aus Scheu, das Göttliche zu beflecken, weisen sie dem Sterblichen, getrennt von demselben, einen anderen Teil des Körpers zum Wohnsitze an, und schoben zwischen beide, um sie gesondert von einander zu erhalten, den Hals als Grenzscheide und schmalen Verbindungssteg zwischen Kopf und Brust ein. In die Brust nämlich und den sogenannten Brustkasten schlossen sie die sterbliche Seele ein, weil aber der eine Teil von ihr von besserer, der andere von schlechterer Art war, so trennen sie wiederum die Brusthöhle, [70 St.] um gleichsam wie in einem Hause die Wohnung der Männer von der der Frauen abzusondern, indem sie das Zwerchfell als eine Scheidewand zwischeneinspannten. Dem streitliebenden Teil der Seele also, welcher Teil hat an Tapferkeit und Zorn, wiesen sie näher nach dem Kopfe zu, zwischen Zwerchfell und Hals, seinen Wohnsitz an, damit er, der Vernunft gehorchend, in Gemeinschaft mit ihr die Begierden im Zügel hielte, wenn sie dem von der Königsburg ausgehenden Befehle und Spruche gutwillig durchaus nicht folgen wollen. Das Herz aber, die Verknüpfung der Adern und Quelle des durch alle Glieder mit Heftigkeit umgetriebenen Blutes, versetzten sie gleichsam in die Trabantenwohnung, damit die Gewalt des Zornes aufwallen könne bei der ihm von der Vernunft erteilten Nachricht, daß in irgend einem Gliede etwas Unrechtes vorkomme, sei es von außen oder auch von innen her durch die drinnen wohnenden Begierden, und schleunig Alles, was im Körper mit Empfindung begabt ist, durch alle jene schmalen Verbindungswege die Ermahnungen und Drohungen der Gebieterin vernehme und ihnen nach allen Seiten Folge leiste und das Beste also durchweg in sich herrschen lasse. Da sie nun aber voraussahen, daß alle solche Aufwallungen der zornesfähigen Teile, wie das Pochen des Herzens bei der Erwartung des Schrecklichen und der Aufregung des Zornes, vermittelst des Feuers vor sich gehen müßten, so pflanzten sie, um eine Abhilfe zu gewähren, das Gebilde der Lunge in die Brust hinein, welche fürs Erste weich und blutlos und fürs Zweite durchlöchert ist, wie ein Schwamm, damit sie Atem und Trank aufnehme und abkühle und so Erquickung und Erleichterung bei der Hitze verschaffe. Deshalb also führten sie Kanäle der Luftröhre nach der Lunge und legten die letztere um das Herz herum wie ein weiches Kissen, damit jenes, wenn der Zorn in ihm aufloderte, an etwas Nachgiebiges anschlüge und eine Abkühlung fände und so mit geringerer Anstrengung mehr der Vernunft mit seinem Zorne dienen könne.
Den Teil der Seele nun aber, welcher nach Speise und Trank begehrt und nach Allem, was ihm die Natur des Leibes zum Bedürfnisse macht, verlegten sie in den Raum zwischen dem Zwerchfell und der Nabelgegend, nachdem sie gleichsam eine Krippe in dieser ganzen Räumlichkeit für die Nahrung des Körpers angefertigt hatten, und banden denn jenes Wesen hier an, wie ein wildes Tier, das aber wegen der Verbindung, in welcher es mit dem Ganzen steht, notwendig ernährt werden mußte, wenn einmal ein Geschlecht sterblicher Wesen entstehen sollte. Damit es also immer an der Krippe weiden könne und so entfernt als möglich von dem beratenden Teile der Seele wohne und demzufolge möglichst wenig Lärm und Geschrei erhebe, [71 St.] vielmehr jenen edelsten Teil in Ruhe über das gemeinsame Wohl des Ganzen mit sich zu Rate gehen lasse, aus diesem Grunde wiesen sie ihm hier seine Stelle an. Weil sie aber wußten, daß es die Vernunft nicht verstehen würde und daß, wenn es ja einmal von irgend welchen vernünftigen Vorstellungen eine Art von Empfindung bekäme, es doch nicht in seiner Art liegen würde auf sie zu achten, sondern daß es von Schatten- und Trugbildern bei Tage und bei Nacht fortwährend verlockt werden würde, so setzte der Gott, indem er eben hierauf sein Absehen richtete, das Gebilde der Leber zusammen und fügte sie in die Behausung jenes Wesens ein, und zwar bildete er sie dicht, glatt, glänzend, süß und mit Bitterkeit versehen, damit in ihr wie in einem Spiegel, welcher Abdrücke aufnimmt und so Bilder dem Auge wiedergibt, die Macht der aus der Vernunft kommenden Gedanken sich abspiegle und so teils jenes Seelenwesen schrecke, so oft sie sich strenge und drohend naht, indem sie sich des derselben beigegebenen bitteren Teiles bedient, um denselben mit Heftigkeit durch die ganze Leber zu verbreiten, und so gallichte Farben zum Vorschein bringt und sie in allen ihren Teilen zusammendrängt und dadurch runzlig und rauh macht, teils dadurch, daß sie den Lappen derselben aus seiner geraden Lage umbiegt und zusammenzieht und ihre Gefässe und ihre Pforte verstopft und verschließt, ihm Leiden und Unbehagen verursache, und damit, wenn vielmehr ein milder Anhauch des Gedankens Bilder der entgegengesetzten Art abspiegelt, derselbe ihm vor der Bitterkeit Ruhe verschaffe, indem er diese seiner eignen Natur entgegengesetzte Substanz weder aufregen noch berühren mag, und vielmehr der Süßigkeit, welche der Leber eingepflanzt ist, sich bediene, um so auf letztere zu wirken, daß alle Teile derselben ihre gerade und regelmäßige Lage, ihre Glätte und Freiheit erhalten, und so jenem um sie herum wohnenden Teile der Seele Heiterkeit und Wohlbefinden und bei Nacht einen angemessenen Zeitvertreib, das Weissagen im Schlafe, verleihe, da er nun einmal an Vernunft und Einsicht keinen Teil erhielt. Denn eingedenk jenes ihnen von ihrem Vater gewordenen Auftrags, dem Menschengeschlechte nach Kräften die möglichste Vollendung zu geben, strebten unsere Bildner demgemäß auch das Niedrige in uns zu heben und gründeten daher, um es doch wenigstens in gewisser Weise mit der Wahrheit in Berührung treten zu lassen, in ihm den Sitz der Weissagung. Einen hinlänglichen Beweis aber dafür, daß Gott die Seherkunst wirklich mit dem bewußtlosen Teile der Menschenseele verknüpft hat, bietet der Umstand dar, daß Keiner, der seines Bewußtseins mächtig, eines gottbegeisterten und wahren Seherspruchs fähig ist, sondern man zu dieser Befähigung nur entweder im Schlafe, wo also die Denkkraft gebunden ist, oder dann gelangt, wenn man durch Krankheit oder eine Art von Verzückung die Besinnung verloren hat, und daß sodann im Gegensatze dazu diese im Traum oder Wachen von der Seherkraft und verzückten Begeisterung eingegebnen Aussprüche aufzufassen, indem man sie sich in die Erinnerung zurückruft, und alle wahrgenommenen Bilder durch verständiges Nachdenken zu zergliedern, [72 St.] um darnach zu entscheiden, in wie weit und für wen sie etwas zukünftiges, vergangenes oder gegenwärtiges Gutes oder Schlimmes bedeuten, vielmehr die Sache eines seiner Besinnung Mächtigen und dagegen die des in jenen wahnsinnartigen Zustand Geratenen und noch in ihm Befindlichen es nicht ist, die Erscheinungen, welche er gehabt, und die Worte, welche er gesprochen hat, zu deuten, sondern von alter Zeit her und mit Recht behauptet wird, daß nur im besonnenen Zustande der Mensch der Beurteiler seiner selbst und seiner Handlungen und der wirkliche Urheber der letzteren ist. Daher ist es denn auch Brauch, die sogenannten Propheten als Deuter den gottbegeisterten Sehern beizuordnen, welche zwar von Manchen selbst Seher genannt werden, aber nur von Solchen, die ganz und gar nicht wissen, daß sie nur Ausleger der rätselhaften Aussprüche und Erscheinungen und keineswegs Wahrsager, mit vollem Rechte aber Propheten, das heißt Dolmetscher der Weissagenden, zu heißen verdienen. Die Leber hat also aus diesem Grunde eine solche Beschaffenheit und den angegebenen Ort empfangen, nämlich zum Zwecke der Weissagung. Und zwar gibt sie dieser ihrer Einrichtung gemäß nur in dem noch lebenden Körper deutlichere Anzeichen, des Lebens beraubt dagegen wird sie blind und gibt dunklere Weissagungen, als daß sie irgend etwas Deutliches durch sie anzeigen könnte. Das Eingeweide aber, welches sich zu ihrer Linken befindet, ist um ihretwillen zusammengefügt und dorthin versetzt, um sie nämlich stets blank und rein zu erhalten, gleichsam wie ein für einen Spiegel verfertigtes und immer neben ihm bereit liegendes Wischtuch. Daher wischt denn auch, sobald Unreinigkeiten in Folge von Krankheiten sich in der Leber erzeugen, die lockere Milz, als ein hohles und blutloses Gewebe, sie alle hinweg und nimmt sie auf, so daß sie in Folge ihrer Anfüllung mit diesen hinweggenommenen Unreinigkeiten übermäßig sich ausdehnt und anschwillt und erst, wenn der Körper gereinigt ist, sich wieder verkleinert und zu ihrem früheren Umfange zusammenschrumpft.
Das die Seele Betreffende nun, nämlich wie viel Sterbliches und wie viel Göttliches sie enthält und ferner wie und in welchen Organen und warum beide Teile gesondert von einander ihre Wohnsitze erhielten, der Wahrheit gemäß angegeben zu haben, das dürften wir wohl nur dann, wenn der Gott uns seine Zustimmung dazu gäbe, versichern, daß jedoch wenigstens das Wahrscheinliche hierüber von uns vorgebracht worden, das dürfen wir sowohl jetzt, als auch bei noch näherer Betrachtung zu behaupten wagen und wollen es hiermit behauptet haben. Es ist daher jetzt das zunächst hieran sich Anschließende weiter zu verfolgen, dies ist aber die Frage, wie der noch übrige Teil des Körpers entstanden ist. Ihm nun dürfte es vor Allem zukommen, folgender Überlegung gemäß zusammengesetzt zu sein.
Die Bildner unseres Geschlechts erkannten nämlich die Unmäßigkeit im Essen und Trinken voraus, welche bei uns herrschen würde, so daß wir aus Schlemmerei viel mehr als hinlänglich und notwendig wäre zu uns nehmen würden. Damit also nicht ein schneller Untergang des menschlichen Geschlechts eintrete und dasselbe hinstürbe, [73 St.] noch ehe es vollendet, bildeten sie, um dem vorzusehen, als einen Behälter zur Aufnahme der überschüssigen Speisen und Getränke die sogenannte untere Bauchhöhle und legten in ihr die Windungen der Gedärme im Kreise herum, damit nicht ein schnelles Hindurchgehen der Nahrung dem Körper schnell wieder das Bedürfnis nach neuer Nahrung aufnötigte und so durch Erzeugung unersättlicher Freßgier das ganze Geschlecht der Liebe zur Wissenschaft und Kunst entfremde und taub mache gegen die Stimme des Göttlichsten in uns.
Mit den Knochen aber und dem Fleisch und Allem, was dahin gehört, ging es folgendermaßen zu. Dies Alles hat in der Entstehung des Markes auch seinen Ursprung. Denn die Bänder des Lebens, welche die Seele mit dem Körper vereinigen, sind in ihm zusammengeknüpft und geben so gleichsam dem menschlichen Geschlechte seine Wurzel, das Mark selbst aber ist aus anderen Bestandteilen hervorgegangen. So viele nämlich von den Elementardreiecken völlig regelmäßig und glatt und so am meisten dazu geeignet waren Feuer, Wasser, Luft und Erde genau darzustellen, diese sonderte der Gott einzeln von ihren Gattungen für sich aus, mischte sie nach richtigem Verhältnis mit einander und bildete aus ihnen das Mark, um in demselben die Gesamtmasse des Samens für das ganze Geschlecht der sterblichen Wesen zu bereiten, pflanzte dem Mark dann die drei Seelengeschlechter ein und befestigte sie, und in so viel und solcherlei Gestalten, als es nach seinen besonderen Arten empfangen sollte, gliederte er dasselbe gleich bei dieser anfänglichen Verteilung. Und zwar denjenigen Teil desselben, welcher wie ein Saatfeld den göttlichen Samen in sich tragen sollte, bildete er von allen Seiten rund und nannte ihn Gehirn oder Kopfmark, weil nach Vollendung jedes lebendigen Wesens das ihn einschließende Gefäß der Kopf sein sollte. Den Teil dagegen, welcher die übrigen sterblichen Bestandteile der Seele in sich enthalten sollte, gliederte er in eine zugleich runde und längliche Gestalt und benannte dies Alles Mark, und nachdem er hieran, wie an einen Anker die Bänder der ganzen Seele befestigt hatte, bildete er nun um dieses Mark herum unseren ganzen Körper, indem er zuerst für dasselbe eine es umkleidende knöcherne Decke zusammenfügte. Den Knochen aber bildet er folgendermaßen. Er siebte Erde durch, so daß sie rein und glatt wurde, und feuchtete sie dann mit hinzugemischtem Mark an, brachte sie hierauf ins Feuer und tauchte sie sodann in Wasser ein und abermals in Feuer und wieder in Wasser, bis er sie endlich durch oftmaliges Hinübertragen aus dem einen in das andere unschmelzbar für beide gemacht hatte. Dieser Masse nun bediente er sich, um aus ihr rings um das Gehirn herum eine knöcherne Kugel zu drehen, doch ließ er in ihr einen schmalen Ausgang. [74 St.] Und zur Umgebung des Nacken- wie des Rückenmarkes bildete er Wirbel aus jener Masse, die er wie Türangeln vom Kopfe an durch den ganzen Oberkörper unter einander ausspannte. Und so umschloß er den ganzen Samen zu seinem Schutze mit einer steinartigen Umhegung und brachte Gelenke in derselben an, um ihr Bewegungs- und Biegungsfähigkeit mitzuteilen, indem er sich hiezu der Einfügung einer Substanz bediente, welche vorzugsweise den Charakter des Veränderns an sich trug. Weil er aber glaubte, daß die Knochen doch von allzu harter und unbiegsamer Beschaffenheit seien und überdies durch den in ihnen vorgehenden Wechsel von Erhitzung und Abkühlung brandig werden und so bald den in ihnen befindlichen Samen verderben würden, so bereitete er demgemäß die Sehnen und das Fleisch, jene, um durch sie alle Glieder mit einander zu verbinden und dem Körper Biegsamkeit um die Angeln und Ausdehnbarkeit vermöge ihres Anspannens und Nachlassens zu geben, das Fleisch aber sollte sowohl als ein Abwehrungsmittel gegen die Hitze wie als ein Schutz gegen die Kälte dienen, überdies auch beim Fallen ähnliche Dienste leisten, wie aus Filz verfertigte Gegenstände, indem es weich und schmiegsam dem Körper nachgäbe, und sollte vermöge der warmen Feuchtigkeit, die es in sich enthalte, im Sommer durch Schweiß und Nässe auf seiner Oberfläche dem ganzen Leibe eine angemessene Kühlung verschaffen, im Winter aber wiederum durch seine Wärme den von außen andringenden und den Körper umlagernden Frost hinlänglichermaßen abhalten. In dieser Erwägung gab unser Bildner demselben dadurch, daß er es durch eine Zutat von einem aus sauren und salzigen Substanzen verbundenen Gärungsstoffe zu einer angemessenen Mischung von Wasser, Feuer und Erde zusammensetzte, seine saftige und weiche Beschaffenheit. Die Sehnen aber mischte er aus Knochen und ungesäuertem Fleische zusammen, so daß sie durch diese Vereinigung aus beiden eine mittlere Beschaffenheit annahmen, und gab ihnen eine gelbe Farbe. In Folge dessen wurden die Sehnen straffer und zäher als Fleisch, aber weicher und feuchter als Knochen.
Mit Beiden, Fleisch und Sehnen, umfaßte nun der Gott Knochen und Mark in der Weise, daß er zunächst die Knochen unter einander mittelst der Sehnen verband und sodann dies mit Fleisch überdeckte. Und zwar umkleidete er dabei alle diejenigen Knochen, welche am meisten von der Beseelung in sich trugen, mit dem wenigsten, die aber, deren Inneres am seelenlosesten war, mit dem weichsten und dichtesten Fleisch. Und eben so ließ er auch an den Gelenken der Knochen, wo nicht die Überlegung eine Notwendigkeit dazu aufwies, wenig Fleisch wachsen, damit es weder den Biegungen hinderlich wäre und so die Körper schwerbeweglich und damit unbehilflich mache, noch auch, wenn es allzu massenweise aufgehäuft und an einander gedrängt worden wäre, durch seine Festigkeit die Empfindung hemme und dadurch auch die Schärfe des Gedächtnisses und der Denkkraft abstumpfe. Daher sind denn sowohl die Schenkel und Schienbeine und die Hüftengegend, [75 St.] so wie die Knochen der Ober- und Unterarme und alle sonstigen Teile an uns, die keine Gelenke haben, als auch alle diejenigen Knochen, welche in ihrem Marke nur wenig Seele haben und deshalb leer an Einsicht sind, insgesamt reichlich mit Fleisch bedeckt, alle, in denen die Einsicht ihren Sitz hat, dagegen weniger, es sei denn, daß Gott einmal eine Fleischmasse ganz für sich allein so zusammensetzte, daß sie der Empfindung dienen konnte, wie namentlich die Zunge. Meistens aber gilt die obige Regel, denn eine nach den Gesetzen der Notwendigkeit entstehende und fortbestehende Wesenheit kann nun einmal nicht zugleich dicke Knochen und vieles Fleisch und doch dabei Feinheit der Empfindungen besitzen. Denn hätte sich Beides mit einander verbinden lassen, so würde diese Verbindung am Allermeisten dem Kopfe bei seiner Einrichtung zu Teil geworden sein, da, wenn das Menschengeschlecht einen fleischigen, sehnigen und starken Kopf auf seinem Rumpfe trüge, ihm sicher ein doppelt und vielmals so langes, gesünderes und schmerzenfreieres Leben zu eigen geworden wäre. Nun aber kamen die Werkmeister unserer Entstehung bei ihrer Überlegung, ob sie ein längerlebendes schlechteres oder ein kürzerlebendes besseres Geschlecht schaffen sollten, einstimmig zu der Ansicht, daß einem längeren, aber schlechteren ein kürzeres, aber besseres Leben für ein jedes Wesen in jedem Falle vorzuziehen sei, und demzufolge bedeckten sie denn den Kopf wohl mit einem dünnen Knochen, nicht aber mit Fleisch und Sehnen, so wie er denn ja auch keine Biegungen hatte. Und so wurde diesem allen gemäß der Kopf als ein zwar reicher mit Empfindung und Vernunft begabter, aber auch weit schwächerer Teil dem Leibe eines jeden Menschen aufgesetzt. Die Sehnen aber heftete Gott aus den obigen Gründen und in der obigen Weise teils ganz gleichmäßig am Ende des Kopfes rings um den Hals herum an und verband durch sie die Enden der Kinnladen unterhalb des Antlitzes, teils verteilte er sie durch alle Gliedmaßen zur gegenseitigen Verknüpfung der Gelenke. Unsern Mund aber versahen die Urheber unserer Ausstattung mit seiner gegenwärtigen Einrichtung von Zähnen, Zunge und Lippen, so wie sie die Rücksicht auf das von der Notwendigkeit Gebotene und auf das Beste an die Hand gab, indem sie bei diesem ihrem Werke den Eingang der ersteren, den Ausgang aber der letzteren Ursache zuwiesen, denn der Notwendigkeit gehört alles Dasjenige an, was in den Mund eingeht, um dem Körper Nahrung zu geben, der Fluß der Rede aber, welcher vom Munde ausgeht und dem Gedanken dient, ist der schönste und beste von allen Flüssen. Ferner nun den Kopf war es weder möglich bloß aus nacktem Knochen bestehen zu lassen, wegen des Übermaßes, welches die Jahrszeiten nach entgegengesetzter Seite hin mit sich bringen, noch auch mit anzusehen, wenn er durch eine ganz dichte Bedeckung stumpf und unempfindlich würde in Folge der Masse des Fleisches. [76 St.] Es war nun von der Fleischsubstanz da, wo sie austrocknete, eine beträchtliche Rinde, die sich von ihr aussonderte, zurückgeblieben, das, was man jetzt Haut nennt, und mit dieser, die durch die Feuchtigkeit aus der Umgebung des Gehirnes Zusammenhalt und Wachstum erhielt, umkleidete der Gott rings herum den Kopf, und indem nun jene Feuchtigkeit durch die Kopfnähte aufstieg, schloß sie durch fortwährendes Benetzen dieselbe über den Scheitel gleichsam wie in einen Knoten zusammen. Jene mancherlei Nähte aber sind entstanden durch das Gegeneinanderwirken der Seelenumläufe und der aufgenommenen Nahrungsmittel, und zwar in größerer Zahl, wenn dieser Kampf ein stärkerer, in geringerer, wenn er ein schwächerer ist. Diese ganze Haut nun ward von der Gottheit rings herum mit Feuer durchstochen, worauf denn von der nunmehr aus diesen vielen kleinen Stichwunden an ihre Oberfläche hervortreibenden warmen Feuchtigkeit alle unvermischten Teile sich entfernten, alle diejenigen dagegen, welche aus denselben Bestandteilen, wie die Haut, zusammengesetzt waren, zwar von dem Triebe nach außen in die Höhe gehoben wurden und sich so in einer gleichen Feinheit, wie der Durchstich, in die Länge ausdehnten, aber wegen der Langsamkeit von der äußeren Luft zurückgestoßen und wieder nach dem Inneren der Haut zu hinabgedrängt wurden, bis sie in ihr festwurzelten. Und zufolge dieser Vorgänge sind die Haare auf der Haut erwachsen, riemenartig und in so fern von verwandter Beschaffenheit mit der Haut selber, aber härter und von dichteren Teilen vermöge des Druckes der Kälte, welchen jedes Haar in Folge des mit seiner Entfernung von der Haut notwendig eintretenden Verlustes seiner Wärme erfuhr. So hat denn mit ihnen unser Schöpfer unserem Kopfe seine rauhe Bekleidung gegeben mit Anwendung der beschriebenen Ursachen und in der Erwägung, daß sie an der Stelle des Fleisches ihm zur Sicherung des Gehirnes eine leichte Bedeckung liefern sollten, welche im Sommer wie im Winter ihm Schatten und Schutz zu gewähren geeignet sein und dabei doch der Leichtigkeit seines Empfindens kein Hindernis in den Weg legen würde. Bei der Verflechtung aber von Sehnen, Haut und Knochen, aus welcher die Finger entstanden, trocknete gleichfalls ein Teil dieser dreiteiligen Mischung aus, und es bildete sich so eine allen Dreien gemeinsam angehörige harte Haut, die zwar vermöge dieser mitwirkenden Ursachen zubereitet, aber doch durch die eigentlich so zu nennende Ursache in Rücksicht auf die späteren Entwicklungen hervorgerufen ward. Denn daß einst aus Männern Weiber und selbst Tiere werden sollten, das wußten unsere Bildner wohl, und eben so erkannten sie auch, daß viele von den Tieren der Nägel, und zwar zu vielen Dingen, bedürfen würden und daher bildeten sie diese den Menschen gleich bei ihrer Entstehung an. Aus solchem Grunde und zu solchen Zwecken ließen sie Haut, Haare, wie auch Nägel an den Enden der Glieder wachsen.
Da nun so alle Teile und Gliedmaßen des sterblichen belebten Wesens zusammengewachsen waren, [77 St.] die Notwendigkeit aber es mit sich brachte, daß an Feuer und Luft sein Lebensprozeß gebunden war, und es deshalb in zerstörender Weise von jenem zerschmolzen und von dieser ausgesogen wurde, so bereiteten die Götter ihm hiergegen eine Abhilfe, indem sie eine der menschlichen verwandte Natur, die sie aber mit einer anderen Gestalt und anderen Empfindungen ausrüsteten, so daß sie zu einer anderen Art von sterblichen belebten Wesen ward, erzeugten. Es sind dies nämlich die Bäume und Pflanzen mit ihren Samen und Früchten, welche jetzt durch die Pflege des Landbaus veredelt und gleichsam gezähmt und an uns gewöhnt sind, während es vormals nur die wilden Gattungen gab, die ja älter sind als die veredelten. Alles nämlich, was nur irgend am Leben Teil hat, wird auch mit vollem Rechte ein lebendiges Wesen genannt werden, es hat ja aber alles eben Erwähnte wenigstens an jener dritten Art von Seele Teil, welche nach unserer Erörterung zwischen Zwerchfell und Nabel ihren Sitz hat, und zwar nichts von Vorstellung, Überlegung und Vernunft, wohl aber Empfindung des Angenehmen und Unangenehmen nebst Begierden in sich trägt. Denn Alles, was Pflanze heißt, ist fortwährend allen äußeren Einwirkungen ausgesetzt, dagegen einen inneren Kreisumlauf zu vollziehen, indem es die von außen kommende Bewegung zurückstieße und der ihr eigentümlichen folgte, und so Etwas von ihren eigenen Zuständen durch Nachdenken über die Natur derselben sich zum Bewußtsein zu bringen, das hat ihre Entstehungsweise ihr nicht verliehen. Daher nun lebt es zwar und ist nicht anders, als ein beseeltes Wesen zu nennen, aber es haftet eingewurzelt an derselben Stelle fest, weil es der eignen Bewegung beraubt ist.
Nachdem nun die Mächtigeren für uns Schwächere alle diese Pflanzenarten zur Nahrung geschaffen hatten, durchzogen sie unseren Körper selbst, ähnlich wie man in Gärten tut, mit Kanälen, um ihn gleichsam mit zufließendem Wasser zu berieseln. Und zwar führten sie zunächst verborgene Kanäle unter die Vereinigung der Haut und des Fleisches, nämlich die Rückenadern, zwei an der Zahl, weil auch der Körper sich in zwei Seiten, die rechte und die linke, teilt. Beide aber leiteten sie am Rückgrat hinunter, so daß sie das lebenbedingende Mark in ihre Mitte nahmen, damit so sowohl dieses am besten gedeihe, als auch der Zufluß zu den übrigen Körperteilen, da diese niedriger liegen, ungehemmt von Statten gehe und so der Bewässerung Gleichmäßigkeit verleihe. Hierauf ließen sie um den Kopf herum die Adern sich verteilen und in Verflechtungen nach entgegengesetzten Richtungen sich ausbreiten, so daß sie teils von der Rechten zur Linken des Körpers, teils von der Linken zur Rechten sich wandten, damit außer der Haut noch Ein Band zwischen Kopf und Rumpf vorhanden sei, in sofern jener nicht rings herum am Scheitel mit Sehnen eingefaßt war, und sodann auch damit die Sinneseindrücke von beiden Seiten her durch den ganzen Körper fortgepflanzt würden. Von da aber schritten sie zur Einrichtung der Wasserleitung in einer Weise, [78 St.] die wir leichter begreifen werden, wenn wir zuvor dahin übereingekommen sind, daß Alles, was aus kleineren Teilen besteht, das Größerteilige nicht hindurchlasse, dieses aber jenes zurückzuhalten nicht im Stande sei, und daß darnach das Feuer, weil es unter allen sogenannten Elementen die kleinsten Bestandteile hat, durch Wasser, Erde, Luft und Alles, was aus ihnen zusammengesetzt ist, hindurchgeht und Nichts es zurückzuhalten vermag. Eben so ist daher auch von unserer Bauchhöhle anzunehmen, daß sie zwar Speisen und Getränke, wenn diese in sie eingehen, aufzuhalten vermag, Feuer und Luft aber nicht, weil deren Bestandteile kleiner als ihre eigenen sind. Dieser beiden bediente sich daher der Gott zur Bewässerung der Adern aus der Bauchhöhle, indem er aus Feuer und Luft ein Geflecht von der Gestalt einer Fischreuse zusammenwebte, in dessen Höhlung zwei Zwischengeflechte hineinliefen, von denen er das eine wiederum so flocht, daß es zwei Hälse bekam. Und von diesen Binnengeflechten spannte er gleichsam Seile rings herum durch das ganze Netz bis an die Außenwände desselben aus. Das Innere desselben nun bildete er ganz aus Feuer, die Binnen- und das Außengeflechte aber aus Luft. Dann nahm er es und umzog damit das von ihm gebildete lebendige Wesen in folgender Weise. Die Gesamtheit der Binnengeflechte ließ er in den Mund hinein, und da ihrer zwei waren, so führte er das eine durch die Luftröhre in die Lunge, das andere aber längs der Luftröhre in die Bauchhöhle hinab. Hierauf teilte er das erstere, und zwar so, daß er den gemeinsamen Stamm in zwei Ästen in die Kanäle der Nase einmünden ließ, so daß, wenn jener andere Ausgang in den Mund hinein einmal verstopft wäre, die auf ihn angewiesenen Strömungen durch diese letzteren mit versorgt werden könnten. Die übrige Höhlung der Reuse ließ er dagegen um den ganzen hohlen Teil unseres Körpers herumwachsen und veranstaltete so, daß bald dies Ganze sanft in die Binnengeflechte, die ja aus Luft bestanden, zusammenfloß, bald wieder sie ihrerseits zurückflossen, und daß das Außengeflecht bei der lockeren Beschaffenheit des Körpers durch denselben hinein- und wieder heraustrat und die in das Innere eingewobenen Feuerstrahlen dabei dem Zuge dieser Luft nach beiden Seiten hin folgten, und dies, so lange das sterbliche Wesen fortbestand, zu geschehen nicht aufhörte. Wer nun dieser ganzen Einrichtung ihren Namen beigelegt, der hat sie nach unserer Behauptung mit dem des Ein- und Ausatmens bezeichnet. Dieses ganze Tun und Leiden ist nun aber unserem Körper zu Teil geworden, damit er durchfeuchtet und abgekühlt werde und so sich ernähren und leben könne. Denn indem das dem Netze eingewobene Feuer dem ein- und ausströmenden Atemzuge folgt, wird es in einer beständigen Schwingung durch die Bauchhöhle erhalten, und indem es dann beim Eindringen in dieselbe die Speisen und Getränke ergreift, [79 St.] schmelzt es dieselben, zerlegt sie in kleine Teile, führt sie durch die Ausgänge, durch welche sein Weg geht, hindurch und leitet sie wie aus einer Quelle in die Kanäle der Adern fort, so daß deren Strömungen den Körper wie ein schluchtenreiches Gebirge durchfluten.
Doch betrachten wir noch einmal den Hergang des Atemholens, durch welche Ursachen er zu seiner gegenwärtigen Einrichtung gediehen ist. Damit steht es nun so. Da es nichts Leeres gibt, in welches etwas von dem in Bewegung Befindlichen hineintreten könnte, der Atem aber von uns nach außen bewegt wird, so ist demgemäß bereits Jedermann klar, daß er dabei nicht in einen leeren Raum eingeht, sondern das Nächste aus seiner Stelle verdrängt, und dies seinerseits treibt immer wieder das Nächste weg, und so wird vermöge dessen Alles notwendig nach der Stelle zu getrieben, von wo der Atem ausging, dringt in dieselbe ein, füllt sie aus und folgt dem Atem, und dies geschieht alles gleichmäßig wie wenn sich ein Rad umdreht, weil es nichts Leeres gibt. Deswegen werden denn Brust und Lunge, wenn sie den Atem von sich geben, wieder von der den Körper umgebenden Luft, indem dieselbe in diesem Kreislaufe durch das Fleisch bei dessen lockerer Beschaffenheit eindringt, angefüllt, sobald dann aber diese Luft vermöge der Rückkehr jenes Kreislaufes in sich selbst durch den Körper wieder nach außen abzieht, so treibt sie dadurch den Atem in die Eingänge des Mundes und der Nase hinein. Als die Ursache des Beginns jener Kreisbewegung aber ist Folgendes anzusehen. Jeder lebendige Körper hat seine größte innere Wärme im Blute und in den Adern, die gleichsam eine in ihm befindliche Feuerquelle sind, weshalb wir denn auch bei unserer zu Grunde geigten Vergleichung mit dem Geflechte einer Fischreuse angaben, daß Alles, was in dem inneren Raume derselben ausgespannt, aus Feuer zusammengeflochten sei, während alle äußeren Hüllen an ihr aus Luft beständen. Nun strebt ja aber zugestandenermaßen alles Warme naturgemäß nach seinem eigentümlichen Orte zu dem ihm Verwandten hinaus, und da der Wege dahin nur zwei sind, der eine durch die Oberfläche des Körpers, der andere aber durch Mund und Nase, so setzt es, sobald es nach der einen Seite hindrängt, die nach der andern zu befindliche umgebende Luft in Umlauf, und indem dieselbe so in den Körper hineingedrängt wird, nimmt sie die Wärme desselben an, während die hinaustretende Luft sich abkühlt. Da aber so die Wärme ihren Platz verändert und vielmehr die nach dem anderen Ausgange zu befindliche Luft wärmer wird, so richtet sie ihren Lauf vielmehr wieder dorthin, indem sie nach außen dem, welchem sie angehört, zustrebt, und drängt so die Luft wieder nach der ersteren Seite hin. Und indem nun dergestalt die Luft fortwährend dieselbe Einwirkung empfängt und zurückgibt, läßt sie so durch Beides durch jenes ihr Tun und dieses ihr Leiden den hin- und herwogenden Kreislauf des Ein- und Ausatmens entstehen.
Und auf diesem Wege sind denn auch die Ursachen von den bei Anwendung der Schröpfköpfe eintretenden Zuständen, so wie die des Verschluckens der Speisen und die von Dem, [80 St.] was mit geworfenen Körpern vorgeht, sowohl wenn sie in die Höhe, als auch wenn sie über die Erde hingeschleudert werden, zu verfolgen, desgleichen die der Schnelligkeit und Langsamkeit und Höhe und Tiefe, welche in den Tönen hervortritt und davon, daß dieselben bald im Mißklange, bald im Einklange sich bewegen, je nachdem sie einander unähnliche oder ähnliche Bewegungen in uns hervorrufen. Nämlich die Bewegungen der schnelleren und zuerst zu uns gelangenden Töne haben bereits nachgelassen und sind denen der langsameren ähnlich geworden, ehe diese bei ihrem späteren Anlangen sie einholen, und wenn diese dann die Bewegungen jener fortsetzen, ohne sie durch das Hinzubringen eines neuen und abweichenden Anstoßes aufzustören und zu verwirren, sondern vielmehr den Anfang einer langsameren Bewegung an das ähnliche Ende der anfänglich rascheren anknüpfen, so bringen sie dadurch einen einzigen, aus Hohem und Tiefem gemischten Eindruck zu Stande, wodurch sie den Unverständigen Lust, den Verständigen aber eine reine Freude über diese Abspiegelung der göttlichen Harmonie in den vergänglichen Bewegungen bereiten. Sodann auch alles Fließen des Wassers, sowie das Niederfahren der Blitze und die vielbewunderte Anziehungskraft des Bernsteins und Magnets: bei keiner von allen diesen Erscheinungen findet jemals wirkliche Anziehung Statt, sondern darin, daß es nichts Leeres gibt und alle Körper durch den auf einander geübten Druck einander in Kreislauf versetzten, und andererseits darin, daß es allen zukommt, mit Aufgabe des Ortes, in welchen sie durch Trennung oder Verbindung gebracht sind, nach demjenigen hinzustreben, welcher einem jeden eigentümlich ist, in der Verflechtung dieser beiden Umstände wird der, welcher dem richtigen Verfahren bei seiner Nachforschung folgt, die Ursache dieser wunderbaren Erscheinungen finden.
Um also zum Atemholen, von welchem diese Abschweifung ausging, zurückzukehren, so ist es gleichfalls, wie schon vorhin bemerkt, auf dieselbe Weise und aus eben diesen Ursachen entstanden, indem das Feuer die Speisen zersetzt, dem Zuge der Luft im Innern des Körpers folgt und vermöge dieser seiner Begleitung jenes Zuges die Adern aus der Bauchhöhle durch Hineinschöpfung der dort von ihm zersetzten Speiseteile anfüllt. Und wo werden denn bei allen sterblichen belebten Wesen durch den ganzen Leib hin die Ströme der Nahrung reichlich bewässert. Da aber diese Nahrungssäfte aus frischzersetzten und von verwandten Geschöpfen, teils Früchten, teils Kräutern, die der Gott eben zu diesem Zwecke pflanzte, um uns zur Nahrung zu dienen, herrührenden Teilen bestehen, so haben sie allerlei Farben an sich in Folge dieser Mischung, aber am meisten scheint die rote durch, die ja aus der Zersetzung und dem Abdrucke des Feuers im Feuchten bereitet ward. Aus diesen Gründen also hat die Farbe der den Körper durchströmenden Flüssigkeiten das beschriebene Aussehen erhalten. Und wir nennen dieselben Blut, [81 St.] welches die Weide des Fleisches und des gesamten Körpers und die Quelle ist, aus welcher alle Glieder desselben die Ausfüllung der durch die abgehenden Bestandteile gelassenen Lücken schöpfen. Die Art dieser Anfüllung und Ausleerung aber ist ganz dieselbe wie die Bewegung von Allem im Weltall, zufolge deren alles Verwandte zu einander hingetrieben wird. Denn einerseits löst das uns Umgebende unseren Körper fortwährend auf und verteilt die abgelösten Teile unter die sogenannten Elemente, denen ein jeder angehört, andererseits sind die Bestandteile des Blutes, weil sie in uns verteilt und von dem Bau des einzelnen lebendigen Wesens so eingeschlossen sind, daß dieses für sie eine Welt bildet, gezwungen die Bewegung des Weltalls nachzuahmen, und indem so diese durch den Körper zerstreuten Stoffe immer nach dem einem jeden Verwandten hingetrieben werden, füllen sie die auf die obige Weise entstandenen Lücken wieder aus. Wenn nun der Abgang dabei größer als der Zufluß ist, so schwindet Alles, wenn aber geringer, so wächst es. Ist nun der Bau des ganzen lebenden Wesens noch neu und aus frischen Elementardreiecken wie von Grunde aus herausgearbeitet, so ist die Verbindung derselben mit einander fest, seine ganze Masse dagegen von weichem Bestande, weil sie erst kürzlich aus Mark erwachsen und mit Milch genährt worden ist. Daher bewältigt sie denn die von außen hereintretenden und von ihr in sich aufgenommenen Dreiecke, aus welchen die Speisen und Getränke bestehen, indem sie sie mit ihren eignen neuen Dreiecken zerschneidet, da jene älter und schwächer sind als diese, und bewirkt so, daß der Körper groß wächst durch die Ernährung mit vielem ihm Ähnlichen. Sobald aber die Schärfe dieser Dreiecke abstumpft, in Folge der vielen Kämpfe, die sie viele Zeit hindurch gegen Vieles zu bestehen hatten, so vermögen sie die eingehenden Speiseteile nicht mehr in sich aufzulösen, sondern werden vielmehr mit Leichtigkeit selber von dem, was von außen her eindringt, aufgelöst. Dann schwindet unter dieser Bewältigung der ganze belebte Körper hin, und dieser Zustand ist es, den wir Alter nennen. Und wenn dann endlich die um die Dreiecke des Markes geknüpften Bänder, durch die Arbeit aufgelöst, nicht mehr widerhalten, so lassen sie eben damit auch die Bande der Seele los, diese aber, indem sie so der Natur gemäß ihrer Freiheit zurückgegeben wird, entfliegt mit Lust. Denn Alles, was wider die Natur geschieht, verursacht Schmerz, was aber der Natur eines Jeden entsprechend, das bereitet ihm Freude, und so ist denn auch der Tod durch Krankheiten und Wunden ein schmerzlicher und gewaltsamer, der aber, welcher mit dem Alter zum natürlichen Ende führt, ist der leichteste von allen und eher mit Lust verbunden als mit Schmerz.
Woraus nun aber die Krankheiten entstehen, ist wohl Jedermann klar. [82 St.] Da nämlich der Körper aus vier Elementen, Erde, Feuer, Wasser und Luft, zusammengesetzt ist, so haben das widernatürliche Zuviel oder Zuwenig derselben und die widernatürliche Vertauschung des ihnen zukommenden Ortes mit einem fremden, so wie die Aufnahme unangemessener Bestandteile durch das Feuer und die übrigen Elemente, da es ja mehr als eine Art derselben gibt, und alle ähnlichen Vorkommenheiten Störungen und Krankheiten zur Folge. Denn wenn irgend eine von ihnen naturwidrig entsteht oder ihren Ort wechselt, so wird erhitzt was vorher kühl, und feucht was vorher trocken, und schwer was leicht war, kurz Alles erleidet nach allen Seiten alle möglichen Veränderungen. Nur dann aber, behaupten wir, wenn das Gleiche zu dem Gleichen gleichmäßig, auf dieselbe Weise und in richtigem Verhältnis hinzutritt und von ihm weggeht, wird ein Jedes, als sich selber gleichbleibend, sich unversehrt und gesund erhalten können, was aber beim Hinzukommen oder Abgehen gegen diese Regeln verstößt, wird die mannigfaltigsten Abweichungen und zahllose Krankheiten und Zerstörungen verursachen. Da aber aus jenen ursprünglichsten Zusammensetzungen auch wieder neue zweiten Ranges in uns gebildet sind, deren Teile auch ihr naturgemäßes Verhältnis zu einander haben, so bietet sich daraus, wenn man nur nachdenken will, noch eine andere Möglichkeit von Krankheiten der Beobachtung dar. Da nämlich Mark, Knochen, Fleisch, Sehnen und, wenn gleich in anderer Weise, auch das Blut aus mehreren der sogenannten Elemente zusammengesetzt sind, so treten zwar bei ihnen die meisten Krankheiten auf dem eben beschriebenen Wege ein, die größten und schweren aber im folgenden Falle: wenn ihre Entstehung auf umgekehrte Weise eintritt, so hat dies ihre Verderbnis zur Folge. Denn auf dem natürlichen Wege entstehen Fleisch und Sehnen aus dem Blute, und zwar die Sehnen aus den Fasern desselben zufolge ihrer verwandten Beschaffenheit, das Fleisch aber aus dem übrigen Teile, welcher nach Aussonderung der Fasern aus ihm gerinnt. Das Zähe und Fette sodann, was wieder aus dem Fleische sich ausscheidet, verbindet teils das Fleisch mit den Knochen und gibt zugleich selbst den das Mark umgebenden Knochen Nahrung und Wachstum, teils seiht sich die reinste, glatteste und fettigste Art der Dreiecke sogar durch die Härte des Knochens hindurch und bewässert so, von ihm abfließend und herabtröpfelnd, das Mark. Wenn nun so dies Alles in dieser Weise entsteht, so findet in der Regel Gesundheit Statt, Krankheiten aber, wenn in der entgegengesetzten. Wenn nämlich aufgelöstes Fleisch umgekehrt diese seine flüssige Masse in die Adern ergießt, dann bildet sich mit dem Atem eine Unmasse von allerlei Blut in den Adern, welches die mannigfaltigsten Farben und Geschmäcke, nämlich Bitterkeiten aller Art, dazu auch Säuren und Salze darbietet und mancherlei Galle, Lymphe und Schleim mit sich führt. Denn weil Alles auf dem verkehrten Wege entstanden und dadurch verdorben ist, so zerstört es zunächst das Blut selbst und treibt sich sodann an dessen Stelle, [83 St.] ohne dem Körper irgend eine Nahrung zu gewähren, überall in den Adern umher, ohne ein ferneres Innehalten der durch die Natur festgestellten Ordnung des Blutumlaufs, feindselig sowohl gegen sich selbst, weil es keinen wechselseitigen Nutzen von sich genießt, wie auch gegen die festen und beharrlichen Teile des Körpers, die es zerstört und auflöst. Gehört nun jenes aufgelöste Fleisch zu dem ältesten, welches eben deshalb schwer zu erweichen ist, so wird es schwarz in Folge des langen Brandes, und bitter, weil es auch durch und durch von ihm zerfressen ist, und greift dadurch auf eine zerstörende Weise alle noch unverdorbenen Körperteile an. Zuweilen enthält auch diese Schwärze anstatt der Bitterkeit Säure, wenn nämlich die bittern Teile stärker verdünnt sind, oder aber jene bittere Substanz nimmt dadurch, daß sie wieder mit Blut getränkt wird, eine rötliche und durch die Vermischung derselben mit dem Schwarz eine grasgrüne Farbe an. Ferner verbindet sich aber auch die gelbe Farbe mit jener Bitterkeit, nämlich wenn junges Fleisch von dem Brande der Entzündung zersetzt wird. Der gemeinsame Name für alle diese Bildungen ist der der Galle, welcher ihnen beigelegt worden ist, sei es von gewissen Ärzten oder auch von anderen Leuten, welche dazu befähigt sind, beim Anblick vieler und unähnlicher Dinge eine Gattungsallgemeinheit in ihnen wahrzunehmen, nach welcher sie alle zu heißen verdienen, die besonderen Arten derselben aber führen nach der Farbe auch ihre besonderen Namen. Was sodann die Lymphe anlangt, so ist die des wirklichen Blutes eine milde Flüssigkeit, die der schwarzen und sauren Galle dagegen scharf, sobald sie sich in Folge der Wärme mit einer salzigen Substanz verbindet, und dies ist es, was man sauren Schleim nennt. Diejenige aber, welche sich aus der Auflösung jungen und zarten Fleisches in Verbindung mit Luft bildet, indem dasselbe aufgebläht und von Feuchtigkeit eingeschlossen ist und in Folge dieses Zustandes sich Blasen erzeugt haben, deren jede einzeln wegen ihrer Kleinheit unsichtbar ist, deren Gesamtheit aber eine sichtbare Masse darstellt und in Folge dieser Schaumbildung eine weiße Farbe darbietet, diese ganze Auflösung zarten Fleisches, mit Luft verbunden, nennen wir weißen Schleim. Vom Schleime aber wiederum, wie er zuerst sich bildet, sind die wässrigen Teile Schweiß und Tränen und alle sonstigen Flüssigkeiten, welche der Körper täglich zu seiner Reinigung von sich aussondert. Alle diese Bildungen nun, die da entstehen, wenn das Blut nicht naturgemäß aus Speisen und Getränken sich ergänzt, sondern aus verkehrten Quellen wider die Gesetze der Natur seine Masse entnimmt, sind die eigentlichen Hebel der Krankheiten. So lange nun dabei das Fleisch nur im Einzelnen von Krankheiten aufgelöst wird, die Grundlagen desselben dagegen unerschüttert bleiben, so lange hat das Übel seine halbe Macht; denn noch gestattet es mit Leichtigkeit Wiederherstellung, [84 St.] sobald aber das Band zwischen Fleisch und Knochen erkrankt und jene aus Fleisch und Sehnen sich aussondernde Haut nicht mehr dem Knochen Nahrung und dem Fleische Zusammenhalt mit dem Knochen gibt, sondern statt seiner bisherigen fetten, glatten und zähen Beschaffenheit durch schlechte Nahrung ausgetrocknet und dadurch rauh und salzig geworden ist, so wird es in Folge dieses Zustandes zerrieben und vielmehr so seinerseits wieder unter das Fleisch und die Sehnen gemischt und von den Knochen abgelöst, und das Fleisch, so von seinen Wurzeln abgetrennt, läßt die Sehnen entblößt und mit salzigem Stoffe angefüllt, und indem es dann selbst in den Strom des Blutes zurückfließt, vermehrt es die Zahl der vorhin erwähnten Krankheiten. Sind nun schon dies schlimme Veränderungen, die den Körper betreffen, so sind doch die ihnen vorausliegenden noch schlimmer, nämlich wenn der Knochen wegen allzu dicker Fleischmasse keinen gehörigen Zuzug der Luft empfängt und so von Fäulnis erhitzt und brandig wird und so, anstatt seinen Nahrungsstoff in sich aufzunehmen, zerbröckelt und umgekehrt in ihn eindringt, und dieser dann ins Fleisch, das Fleisch aber ins Blut geht und so alle vorher benannten Krankheiten noch bösartiger macht. Sobald aber, was von Allem das Ärgste ist, das Mark selbst an Überfüllung oder Mangel von irgend welcher Art erkrankt, so bringt dies die größten und recht eigentlich tödlichen Krankheiten zu Wege, indem dann der ganze körperliche Umlauf notwendig rückwärts geht.
Eine dritte Art von Krankheiten wiederum muß man sich auf eine dreifache Weise entstehend denken, aus Luft, aus Schleim und aus Galle. Sobald nämlich die Ausgeberin der Luft im Körper, die Lunge, durch zufließende Säfte verstopft, ihr nicht reine Durchgänge darbietet, so verursacht die Luft, indem sie hier gar nicht, dort im Übermaße eindringt, einerseits in jenen Teilen, denen so keine Abkühlung zu Teil wird, Fäulnis, andererseits aber wird sie, nachdem sie mit Gewalt die Adern durchrissen und dieselben vielfach verbogen und den Körper zersetzt hat, endlich, wenn sie nach der Mitte desselben hinströmt, von dem hier ausgespannten Zwerchfell zurückgehalten, und das hat denn tausend schmerzhafte, mit vielem Schweiße verbundene Krankheiten zur Folge. Oft erzeugt sich auch im Körper durch Zersetzung des Fleisches Luft und kann nicht heraus, und diese erregt dann dieselben Schmerzen, wie jene eingedrungene, die größten aber dann, wenn sie die Sehnen und deren Äderchen umlagert und die Gelenke samt den mit ihnen zusammenhängenden Sehnen anschwellt, weshalb denn auch von diesem Zustande der Verkrampfung und des Auseinanderziehens die betreffenden Krankheiten Zuckungen und Krämpfe genannt worden sind. Gegen sie ist denn auch das Heilmittel ein schlimmes, [85 St.] denn Fieber sind es bekanntlich, die durch ihr Hinzutreten dergleichen beseitigen. Der weiße Schleim sodann bringt durch die in seinen Blasen enthaltene Luft Störungen zu Wege, wenn ihm der Ausgang versperrt ist, kann er sich dagegen nach außen Luft machen, so ist er gutartiger, doch macht er dann wenigstens die Haut fleckig, indem er Aussatz, Flechten und ähnliche Krankheiten erzeugt. Wenn er aber, mit schwarzer Galle vermischt, sich über die Umläufe, die im Kopfe vorgehen und die göttlichsten sind, verbreitet und sie stört, so ist sein Nahen im Schlafe minder schädlich, dagegen im wachen Zustande sein Überfall schwerer zu vertreiben, diese Krankheit aber führt mit Recht den Namen der heiligen, weil sie das heiligste aller Organe betrifft. Saurer und salziger Schleim dagegen ist die Quelle aller sogenannten Flüsse, die aber nach der Mannigfaltigkeit der Orte, in welche er sich ergießt, auch ihre mannigfaltigen besonderen Namen empfangen haben. Alles aber, was man Entzündung am Körper nennt, rührt insgesamt von der brennenden und ätzenden Kraft der Galle her. Macht sie sich dabei nach außen hin Luft, so treibt sie aufbrausend mancherlei Geschwüre hervor, wird sie aber im Innern eingeschlossen, so erzeugt sie viele hitzige Krankheiten, und zwar die größte dann, wenn sie sich mit dem reinen Blute vermischt und die Fasern aus ihrer Ordnung bringt, welche durch das Blut verteilt wurden, damit es das richtige Verhältnis in Ansehung von Dünnheit und Dickheit erhalte und weder in Folge zu großer ihm durch die Wärme mitgeteilter Flüssigkeit aus dem Körper bei dessen lockerer Beschaffenheit herausfließe, noch auch wegen allzu großer Dickheit schwerbeweglich werde und nur mit Mühe in den Adern seinen Umlauf halten könne. Dies richtige Maß nun erhalten die Fasern gemäß ihrer Entstehungsweise aufrecht, die daher selbst in bereits abgestorbenem und erkaltetem Blute, wenn man sie zusammenbringt, den ganzen übrigen Teil desselben wieder in einen flüssigen Zustand versetzen, wenn man sie dagegen gewähren läßt, in Verbindung mit der umgebenden Kühle bald das Ganze gerinnen machen. Üben nun die Fasern eine solche Wirksamkeit aus, so gerinnt unter diesem ihrem Einfluß die warme und feuchte Galle, die ja ihrer Natur nach ehemaliges Blut gewesen und sodann durch die Wiederauflösung des Fleisches in dasselbe entstanden ist, bei ihrem demgemäß und zwar anfänglich nur in geringer Masse erfolgenden Zurücktreten in dasselbe und wird gewaltsam ihrer Wärme beraubt, dadurch aber bringt sie ein innerliches Frieren und Zittern hervor. Strömt sie aber sodann in größerer Menge zu, so gewinnt die von ihr ausgehende Wärme die Oberhand, und sie bringt siedend die Fasern in Erschütterung und Verwirrung, und wenn sie fortwährend dieselben zu bemeistern vermag, so dringt sie allmählich bis zum Marke vor, zerstört mit ihrem Feuer die Ankertaue, mit welchen hier die Seele festgebunden ist und versetzt so dieselbe in Freiheit. Ist sie dagegen in geringerer Menge vorhanden, so daß der Körper der Auflösung Widerstand leisten kann und sie selbst überwältigt wird, so sucht sie sich entweder durch den ganzen Körper einen Ausweg oder sie wird aus den Adern in die untere oder obere Bauchhöhle gedrängt und entweicht dann aus dem Körper wie ein Verbannter aus einer im Bürgerkriege begriffenen Stadt, [86 St.] indem sie Durchfälle, Ruhr und alle derartigen Krankheiten hervorbringt.
Ist der Körper hauptsächlich in Folge des Übermaßes von Feuer erkrankt, so erleidet er ununterbrochene Fieberhitze, wenn aber an dem von Luft, so eintägige, und dreitägige, wenn von Wasser, weil dieses träger als Feuer und Luft ist, das Element der Erde endlich, welches das trägste von allen vieren ist und erst in dem vierfachen Zeitumlaufe seine Reinigung erlangt, erzeugt die viertägigen Fieber, die sich schwer beseitigen lassen.
So treten denn also die Krankheiten des Körpers ein, die Beschaffenheit desselben erzeugt aber auch deren in der Seele, und zwar in folgender Weise. Man kann nämlich nicht leugnen, daß Vernunftlosigkeit Krankheit der Seele ist, und daß es von ihr zwei Arten gibt, Wahnsinn und Unwissenheit. Folglich muß aber auch jedes Vorkommnis, welches den Menschen in einen von beiderlei Zuständen versetzt, als Krankheit bezeichnet werden, und zwar sind übermäßige Lust und übermäßiger Schmerz als die größten dieser Seelenkrankheiten anzusehen. Denn ein Mensch, welcher übermäßig froh oder aber im Gegenteil in den äußersten Zustand des Schmerzes versetzt ist, sucht immer zur Unzeit das eine zu erjagen und dem Anderen zu entfliehen und vermag weder etwas Richtiges zu sehen noch zu hören, sondern rast und ist in diesem Zustande nicht im Mindesten einer vernünftigen Überlegung fähig. Wenn sich nun ein reichlicher und üppig hervorquellender Same in seinem Marke bildet, gleichwie wenn ein Baum überreiche Früchte bringt, so empfängt ein Solcher viele und jedesmal große Schmerzen und Genüsse aus seinen hiermit zusammenhängenden Begierden und deren Folgen, und indem er so, da diese Art von Wonnen und Wehen die stärkste von allen ist, den größten Teil seines Lebens in einem Wahnsinne zubringt und seine Seele durch seinen Körper krank und unvernünftig geworden ist, wird er nicht als ein Kranker, sondern als ein freiwillig Schlechter beurteilt. In Wahrheit aber ist die Zügellosigkeit im Liebesgenusse meistens durch den übermäßigen Zufluß jener besonderen Art von Feuchtigkeit und die übermäßige Benetzung des Körpers mit derselben, welche eine Folge von lockerer Beschaffenheit der Knochen sind, zu einer Krankheit der Seele geworden. Und so wird fast Alles, was man Unenthaltsamkeit in den Genüssen nennt, in so weit denen, die sie ausüben, mit Unrecht als Schlechtigkeit vorgeworfen, als man dabei urteilt, daß sie freiwillig diese Schlechtigkeit an sich tragen. Denn Niemand ist freiwillig böse, sondern wer es ist, der ist es durch fehlerhafte Beschaffenheit seines Körpers und durch falsche Erziehung geworden, einem Jeden aber ist dies verhaßt und es wird ihm wider seinen Willen zu Teil. Ferner können daher auch die Schmerzen des Körpers eben so in der Seele allerlei Übel erzeugen. Denn wo nur immer die Säfte der sauren und salzigen Schleime und alle bitteren und gallichten Säfte in ihrem Umherirren durch den Körper sich nicht nach außen hin Luft machen können, sondern, [87 St.] im Innern zusammengedrängt, ihren Dunst der Bewegung der Seele beimengen, da erzeugen sie auch allerlei Seelenkrankheiten, stärkere oder schwächere, zahlreichere oder wenigere. Und zwar je nach den drei Sitzen der Seele rufen sie da, wohin sie jedesmal dringen, verschiedenerlei Arten bald von Trübsinn und Mißmut, bald von Verwegenheit und Feigheit, bald endlich von Vergeßlichkeit und zugleich Ungelehrigkeit hervor. Wenn dann zu solchen Mißbildungen noch fehlerhafte Staatseinrichtungen und schlechte Reden hinzukommen, die in den Staaten bei öffentlichen und nicht öffentlichen Gelegenheiten geführt und gehalten werden, und die Pflege der Wissenschaften, welche hiergegen ein Heilmittel gewährt, von Jugend auf nicht in Übung steht, dann werden wir Alle, die wir schlecht sind, ganz wider unseren Willen es aus zwei Gründen. Hievon muß man nun zwar immer die Schuld mehr den Erzeugern als den Erzeugten, und mehr den Erziehern als den Erzogenen beimessen, doch muß auch jeder für sein Teil, so viel er vermag, die Mittel benutzen, welche Erziehung, öffentliches Leben und wissenschaftliche Tätigkeit ihm darbieten, um so dem Laster zu entfliehen und dessen Gegenteil zu erjagen. Doch dies ist ein Gegenstand, der eine andere Art von Behandlung erfordert.
Wohl aber gehört es hierher und ziemt sich, das Gegenstück zu dem obigen zu entwickeln, nämlich auf welchem Wege eine Pflege des Körpers und der Geistestätigkeiten eintritt, die vielmehr zu deren Erhaltung dient. Denn es ist billig, mehr über das Gute als über das Schlechte zu sprechen. Alles Gute nun ist schön, Schönheit aber gibt es nicht ohne Maß, auch dem lebendigen Wesen also, welches die ersteren Eigenschaften an sich tragen soll, ist Ebenmaß zuzuschreiben. Von den Verhältnissen des Ebenmaßes nun pflegen wir die geringeren zwar wahrzunehmen und in Erwägung zu ziehen, die einflußreichsten und größten aber unbeachtet zu lassen. Denn von größerem Einfluß auf Gesundheit und Krankheit und auf Tugend und Laster ist kein Ebenmaß und kein Mißverhältnis, als das zwischen der Seele und dem Körper selbst. Hievon bemerken wir jedoch Nichts und bedenken nicht, daß wenn eine durchaus starke und große Seele von einem schwächeren und kleineren Fahrzeug getragen wird, und desgleichen wenn Seele und Körper nach dem umgekehrten Maßstabe zusammengefügt sind, das ganze lebendige Wesen nicht schön ist, denn es fehlt ihm gerade das höchste von allem Ebenmaß. Dasjenige dagegen, welches sich umgekehrt verhält, gewährt dem, der das Auge dafür hat, den allerschönsten und lieblichsten Anblick. Gleichwie nun ein Körper, welcher unverhältnismäßig lange Beine hat oder durch irgend ein anderes Übermaß im Mißverhältnisse mit sich selbst steht, nicht bloß häßlich ist, sondern auch bei der gemeinsamen Tätigkeit aller seiner Glieder leicht ermattet und Krämpfe zu erleiden hat und wegen seiner Unbehilflichkeit leicht hinfällt, und so sich selber tausenderlei Schäden antut, eben so muß man auch hinsichtlich des aus Beiden, Seele und Leib, verbundenen Wesens, was wir ein lebendiges nennen, urteilen, daß nämlich sowohl wenn in ihm die Seele stärker als der Körper ist, dieselbe, [88 St.] falls sie in heftigem Zorne ist, ihn ganz und gar erschüttere und von innen her mit Krankheiten erfülle, und ferner, falls sie mit Anstrengung sich dem Lernen und Forschen hingibt, ihn abzehre, und falls sie endlich vielmehr Belehrungen erteilt und sich in Redekämpfe vor dem Volke und in engeren Kreisen einläßt, bei denen es nicht ohne Erregung und Eifer von beiden Seiten abgeht, ihn durch und durch erhitze und dadurch in Auflösung versetzte und durch Herbeiführung von Flüssen die meisten der sogenannten Ärzte täusche und die Ursache da, wo sie nicht ist, finden lasse, als auch wenn umgekehrt ein großer und der Seele überlegener Körper mit einem geringen und schwachen Denkvermögen verwachsen ist, daß dann, da von Natur ein zweifacher Trieb im Menschen vorhanden ist, seitens des Körpers nach Nahrung und seitens des Göttlichsten in uns nach Einsicht, die Regungen des stärkeren Teiles siegen und ihren Besitz erweitern, die Seele aber stumpf, ungelehrig und vergeßlich machen und so die größte aller Krankheiten, die Unwissenheit, zu Wege bringen. So ist denn dies das alleinige Heil für beide Teile, wenn man weder die Seele ohne den Körper noch den Körper ohne die Seele übt, damit beide so ihrer gegenseitig sich erwehren können und dadurch ins Gleichgewicht kommen und gesund werden. Es muß also der, welcher die Wissenschaften oder sonst eine Geistesübung mit Anstrengung betreibt, zugleich auch dem Körper die nötige Bewegung gewähren, indem er der Leibesübung obliegt, und wiederum wer den Körper sorgfältig bildet muß zugleich auf die Regsamkeit der Seele bedacht sein, indem er auch der Musik und jeglicher wissenschaftlichen Bildung sich hingibt, wenn er mit Recht ein harmonisch durchgebildeter und ein guter und tüchtiger Mann heißen will. Und in gleicher Weise muß man auch die einzelnen Teile behandeln, indem man sich dabei die Verhältnisse im Weltganzen zum Vorbilde nimmt. Denn da der Körper von dem, was in ihn eingeht, inwendig erhitzt und abgekühlt, und wiederum von dem, was sich außerhalb befindet, ausgetrocknet und angefeuchtet wird, und mit diesen beiden Erregungen auch alle anderen erleidet, welche wieder die Folge von ihnen sind, so wird er, wenn man ihn in untätiger Ruhe denselben überläßt, von ihnen überwältigt und geht zu Grunde; wenn man aber dem Beispiele der von uns so genannten Ernährerin und Amme des Alls folgt und den Körper am liebsten niemals in untätiger Ruhe beläßt, sondern in steter Bewegung erhält und durch gewisse angemessene Erschütterungen, die man in ihm seinem ganzen Umfange nach hervorruft, sich jener äußeren und inneren Erregungen auf eine naturgemäße Weise erwehrt und dadurch die durch den Körper umherirrenden Bestandteile und Eindrücke, dergestalt daß sich Verwandtes zu Verwandtem fügt, in die gehörige Ordnung unter einander bringt, so wird man nach unserer voraufgehenden Auseinandersetzung über die Natur des Alls es hierdurch verhindern, daß sich Feindliches zu Feindlichem geselle und dadurch im Körper Kämpfe und Krankheiten erzeuge, und vielmehr bewirken, [89 St.] daß Befreundetes sich mit dem Befreundeten verbinde und dadurch Gesundheit verleihe. Von allen Bewegungen nun aber ist die in sich selbst und durch sich selbst die beste, denn sie ist am meisten der Bewegung des Denkens und des All verwandt, minder gut ist die durch einen anderen Körper hervorgebrachte, und die schlechteste endlich die durch Andere nur in einzelnen Teilen des liegenden und ruhenden Körpers bewirkte. Daher ist die beste Art den Körper zu reinigen und in gute Verfassung zu setzen die gymnastische Übung, die nächstbeste das Schaukeln, welches eine Fahrt zu Schiffe oder irgend eine andere Weise den Menschen ohne Ermüdung weiterzubefördern mit sich bringt, und die dritte Art endlich ist zwar im Notfalle zuweilen sehr nützlich, sonst aber in den Augen eines Verständigen durchaus nicht zulässig, nämlich die Reinigung durch Arzneimittel. Denn wenn die Krankheiten nicht mit großen Gefahren verbunden sind, so darf man sie durch die Anwendung derselben nicht aufregen. Denn die Entstehung aller Krankheiten hat etwas Ähnliches mit der lebendiger Wesen. Nämlich auch den letzteren ist gleich bei ihrer Bildung sowohl die Lebensdauer des ganzen Geschlechtes als die der einzelnen Wesen, so weit nicht ein Zufall der blinden Notwendigkeit gewaltsam eingreift, vorherbestimmt, denn die Dreiecke treten gleich von vorne herein in einem jeden mit der Fähigkeit zusammen, bis zu einer bestimmten Zeit auszuhalten, über welche hinaus kein Geschöpf sein Leben ausdehnen kann. Eben so ist es nun auch mit den Krankheitsbildungen, und wenn man sie daher durch Arzneigeben unterdrückt, statt ihnen ihre bestimmte Zeit zu lassen, so pflegen aus kleinen große, und viele aus wenigen Krankheiten zu werden. Daher muß man den Verlauf jener minder gefährlichen Übel durch Beobachtung einer strengeren Lebensweise, so weit die Berufsgeschäfte Einem dazu Zeit lassen, regeln und nicht durch Arzneinehmen bösartig machen.
So viel denn über das lebende Wesen als Ganzes, so wie auch über seinen körperlichen Teil in Betreff dessen, wie man ihn lenken und von sich selber gelenkt werden müsse, um möglichst der Vernunft gemäß zu leben, der Teil aber, welcher eben der lenkende sein soll, muß wohl noch mehr und früher dazu vorbereitet werden, möglichst geeignet und tüchtig zur Erfüllung dieser seiner Aufgabe zu sein. Eine genaue Ausführung dieses Gegenstandes nun würde freilich hinlänglichen Stoff zu einer besonderen Arbeit liefern; was sich aber im Vorbeigehen darüber sagen läßt, wird sich nach Anleitung des Vorhergehenden nicht unpassend in folgender Betrachtungsweise durchführen lassen. Wie wir schon wiederholt bemerkten, daß drei Seelenteile von dreifacher Art in uns ihren Wohnsitz erhalten haben und daß jeder von ihnen seine besonderen Bewegungen hat, eben so müssen wir nach Anleitung des Obigen denn auch jetzt in der Kürze hinzufügen, daß der von ihnen, der in Untätigkeit verharrt und die ihm eigentümlichen Bewegungen nicht durchmacht, notwendig der schwächste, der welcher in Übung bleibt, aber der stärkste wird. [90 St.] Deshalb ist sehr darauf zu sehen, daß sich alle drei hinsichtlich ihrer Bewegung im Ebenmaß zu einander verhalten. In Betreff der vollkommensten Art von Seele in uns muß man nun aber urteilen, daß der Gott sie einem Jeden als einen Schutzgeist verliehen hat, ich meine nämlich jene, von der wir angaben, daß sie in dem obersten Teile unseres Körpers wohne und uns über die Erde zur Verwandtschaft mit den Gestirnen erhebe, als Geschöpfe, die nicht irdischen, sondern überirdischen Ursprungs sind, und wir hatten ein Recht dies zu behaupten. Denn dorthin, von wo der erste Ursprung der Seele ausging, richtete die Gottheit das Haupt und die Wurzel des Menschen und gab so unserem ganzen Körper seine aufrechte Stellung. Wer sich daher den Begierden oder dem Ehrgeize hingibt und unablässig diese beiden Kräfte übt, wird notwendig lauter sterbliche Meinungen in sich erzeugen und, so weit es ihm überhaupt nur möglich ist sterblich zu werden, es hieran in keinem Stücke fehlen lassen, weil er eben den sterblichen Teil in sich groß gezogen hat. Wer dagegen der Lernbegierde und wahrhafter Kenntnisse sich beflissen und die Kraft des Wissens vor allen anderen Kräften seiner Seele geübt hat, der wird doch wohl eben so schlechterdings notwendig, wenn er überhaupt die Wahrheit erreichte, unsterbliche und göttliche Gedanken in sich tragen, und wiederum, so weit überhaupt die menschliche Natur der Unsterblichkeit fähig ist, in keinem Teile dahinter zurückbleiben und, weil er stets des Göttlichen wartet und den göttlichen Schutzgeist, der in ihm selber wohnt, zur schönsten Vollendung hat gedeihen lassen, vorzüglich glückselig sein. Nun gibt es aber für jedes Wesen nur Eine Art Pflege und Wartung, nämlich daß man die ihm zukommende Nahrung und Bewegung ihm zu Teil werden läßt, dem Göttlichen in uns aber verwandt sind die Gedankenbewegungen und Kreisläufe des Alls. Ihnen also muß ein Jeder folgen und die Kreisbewegungen, die in unserem Haupte, aber gestört durch die Art unserer Entstehung, Statt finden, durch Erforschung der Harmonie und der Kreisläufe des Alls in Ordnung bringen, und so das Denkende zur Ähnlichkeit mit dem Gedachten seiner ursprünglichen Natur gemäß erheben, um so dasjenige Ziel des Lebens zu erreichen, welches den Menschen von den Göttern als das vollendetste vorgesteckt ist für die gegenwärtige und die folgende Zeit.
Und nunmehr scheint denn auch die uns jetzt gesteckte Aufgabe, das Weltall von seinen Anfängen aus bis zur Entstehung der Menschen zu verfolgen, so ziemlich ihr Ziel erreicht zu haben. Denn auf welche Weise auch die anderen lebenden Wesen entstanden sind, ist nur kurz zu erwähnen, es sei denn daß die Sache hie und da ein Mehreres fordert, denn so dürfte man wohl am Ersten glauben, das richtige Maß in der Auseinandersetzung solcher Gegenstände inne gehalten zu haben. Mag denn also in folgender Weise das hierher Gehörige besprochen sein.
Nachdem Männer entstanden waren, wurden alle die unter ihnen, welche feige waren und ihr Leben in Ungerechtigkeit hinbrachten, wie die Wahrscheinlichkeit lehrt, bei ihrer zweiten Geburt in Weiber verwandelt. [91 St.] Und damit zugleich schufen die Götter demgemäß auch den Trieb zur Begattung vermöge eines beseelten und lebendigen Gebildes, das sie in uns, und eines andern, das sie in den Weibern, und zwar jedes von beiden in folgender Art hervorbrachten. Den Durchweg des Getränkes verbanden sie an der Stelle, wo er dasselbe, nachdem es von der Lunge unten durch die Nieren weg in die Harnblase gelangt ist, vermöge des durch die Luft auf die letztere ausgeübten Druckes aufnimmt und herausbefördert, durch eine Seitenöffnung mit der vom Kopfe aus durch Nacken und Rückgrat sich hindurchziehenden Masse des Markes, welche wir in unsern voraufgehenden Erörterungen Samen nannten, und indem dieser ja beseelt ist und nunmehr Luft bekam. So erregte er in jenem Teile, nach welchem hin er sich Luft machte, die Leben erweckende Begierde nach Ausströmung und rief so den Zeugungstrieb hervor. Daher sind denn auch bei den Männern die Schamteile etwas Unlenksames und Eigenmächtiges, wie ein Tier, welches nicht auf Vernunft hört, und trachten mit ihren rasenden Begierden Alles zu beherrschen, und ganz aus denselben Gründen geht es bei den Weibern eben so mit der sogenannten Scheide und Gebärmutter, auch diese ist ein ihnen einwohnendes lebendiges Gebilde, welches die Begierde nach Kinderzeugung in sich trägt und daher, wenn es, zur Reife gelangt, lange Zeit ohne Frucht bleibt, in Aufregung und Ungeduld versetzt wird, überall hin durch den Körper seine Säfte umhertreibt, die Kanäle der Luft verstopft und somit das Atmen erschwert und die äußersten Beängstigungen und allerlei andere Krankheiten verursacht, bis denn die wechselseitige Liebe und Begierde beider Teile sie zusammenführt und gleichsam die Frucht vom Baume pflückt, indem sodann in die Gebärmutter wie in ein Saatfeld Tierchen, die vor Kleinheit unsichtbar und noch unausgebildet sind, hineingestreut werden, sich hernach aber wieder von ihr ablösen, von innen heraus groß wachsen und endlich ans Licht hervortreten und so die Entstehung lebendiger Wesen sich vollendet. Auf die obige Weise sind also die Weiber und alles Weibliche entstanden. Die Vögel aber gingen durch Umgestaltung, indem sie statt der Haare Federn bekamen, aus den Männern hervor, die harmlos, aber leicht waren und sich zwar mit dem Überirdischen beschäftigten, aber aus Einfalt vermeinten, daß die Erklärung dieser Dinge durch das Gesicht die zuverlässigste sei, die Landtiere aber aus denen, die gar keine Liebe zur Wissenschaft hatten und nie über die Natur des Weltalls Beobachtungen anstellten, weil sie nicht von den Umläufen in ihrem Haupte Gebrauch machten, sondern den in der Brust wohnenden Teilen der Seele als Führern folgten. Von dieser Beschäftigung wurden ihr Kopf und ihre Vorderglieder vermöge der Verwandtschaft zur Erde hingezogen, um sich auf diese zu stützen, und sie bekamen längliche Scheitel von allerlei Formen, [92 St.] je nachdem die Umläufe derselben bei einem Jeden durch Untätigkeit zusammengedrückt wurden. Und nicht bloß vierfüßig, sondern auch vielfüßig ward aus denselben Gründen ihr Geschlecht, indem der Gott ihnen, je unverständiger sie waren, desto mehr Stützen unterschob, um sie noch mehr zur Erde herabzuziehen. Die Unverständigsten von ihnen aber, die vollständig ihren ganzen Körper zur Erde niederstreckten, wurden, weil der Füße ferner nicht bedürftig, fußlos und sich auf der Erde hinwindend erzeugt. Die vierte Gattung endlich, die der Wassertiere, entstand aus den Allerunvernünftigsten und Ungebildetsten, welche von den Urhebern der Umbildung nicht einmal mehr eines reinen Atems gewürdigt, weil ihre Seele mit jeglichem Fehler befleckt war, sondern, um statt der dünnen und reinen Luft eine trübe Flüssigkeit einzuatmen, in die Tiefe des Wassers hinabgestoßen wurden. Daher entstand das Geschlecht der Fische und der Muscheln und aller anderen Geschöpfe, welche im Wasser leben und, weil sie sich bis zur untersten Stufe des Unverstandes erniedrigt haben, auch in die untersten aller Wohnungen herabgesetzt worden sind. Und auf diese Weise werden denn noch jetzt, wie damals, alle bewußten Wesen in einander verwandelt, indem sie je nach dem Verluste und Gewinne von Vernunft und Unvernunft ihre Gestalt wechseln.
Und nunmehr möchten wir denn auch behaupten, daß unsere Erörterung über das All ihr Ziel erreicht habe, denn nachdem diese Welt in der obigen Weise mit sterblichen und unsterblichen belebten Wesen ausgerüstet und erfüllt worden, ist sie zu einem sichtbaren Wesen dieser Art geworden, welches alles Sichtbare umfaßt, zum Abbilde des Schöpfers, ein sinnlich wahrnehmbarer Gott und zur größten und besten, zur schönsten und vollendetsten geworden, diese eine und eingeborne Welt.
Sonntag, 10. Oktober 2010
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen